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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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einem spricht.
    Tyra, flüsterte ich.
    |336| Es liegt nicht alles in meiner Macht, sagte sie leise.
    Was ist das alles für dich? sagte ich.
    Du willst es nicht wirklich wissen.
    Doch, sagte ich, doch.
    Lass’ mich, sagte sie wieder.
    Gabriel hat keine Frau, flüsterte ich, er streicht da draußen herum, er ist halbwegs vergnügt, weil er mit diesen Fahrten
     zu den Bergen seine Höhenangst bekämpft. Er macht Andenkenfotos, er kauft Postkarten. Er ist nach Wien gekommen, um mir zu
     helfen, dich zu finden.
    Ihr seid für mich fremde Menschen, flüsterte sie, und ich haßte sie augenblicklich für diese Worte, ich stürmte hinaus, und
     beim Anblick der kleine Pfade emporsteigenden Ausflugstouristen wurde mir schlecht, dort oben würde ich neben einem Gipfelkreuz
     oder einem Felsbrocken stehen und nichts, rein gar nichts empfinden, es wäre vergeudete Zeit, hinaufzuklettern, ich stolperte
     über die Steine auf meinem Weg, und dann saß ich auf der Terrasse des Berghauses, die wie eine Aussichtsplattform angelegt
     war, ein Vater machte es seinem Sohn vor, er warf Münzen in den Phonomaten und ließ sich die Welt, die vor seinen Füßen lag,
     erklären, und es lief doch alles nur darauf hinaus, daß man Berg und Tal unterscheiden mußte und daß man in der Höhe den Wolken
     näher war als gedacht. Durch das Panorama-Fernglas konnte man Sankt Pölten, Mariahilfberg, Wien, Baden, das Schneebergdorf
     und den Neusiedler See sehen, die Einstellwinkel waren angegeben. Die Touristen riefen über das Mobiltelefon Freunde und Bekannte
     an, und ich hörte, wie sie erklärten, daß der Schneeberg deshalb Schneeberg hieß, weil er zweitausendfünfundsiebzig Meter
     hoch war und die meiste Zeit im Jahr eine Schneehaube hatte, es wäre der reinste Wahnsinn, mit |337| der Zahnradbahn zum Aussichtsberg zu fahren. Die aktualisierte Ausgabe des Führers mit den schönsten Bergwanderungen und Klettersteigen
     lag aufgeschlagen auf ihren Oberschenkeln.
    Ein langes Donnergrollen ließ uns alle innehalten, und ich richtete meinen Blick auf die blaßgrauen Wolken, die in Schleiern,
     in Fetzen, in zerrissenen dünnen Streifen zogen, und aus einer Eingebung heraus roch ich an meinem Hemd, ich roch den Schweiß
     meiner Todesangst, die ich empfunden hatte in der Finsternis und inmitten der Flammen, die Metall und Fleisch versengt verschmort
     zerfressen hatten. Sie war es gewesen, die mir in der Nacht das Wasser reichte, sie war es, die heute den Märtyrertod der
     Heiligen bedauerte. Gabriel winkte von der Ferne, ich legte einen Geldschein auf den Tisch, strich unnötigerweise das Tischtuch
     glatt, stand auf und ging langsam zurück zum Feuersalamanderzug, Tyra würde auch bald aus ihrer Versenkung erwachen, sie hatte
     sich die Abfahrtszeit bestimmt gemerkt, sie war wach, sie vergeudete sich nicht, die Heiligenverehrung hielt sie nicht davon
     ab, Stille und Lärm zu unterscheiden. Tatsächlich fand ich sie vor einem Baum, an dessen unteren Zweigen Tonglocken hingen,
     bevor ich sie kurz an der Schulter berührte, drehte sie sich zu mir um und sagte: Du bist eingeladen, ich lade dich ein heute
     nacht, du wirst sehen.
     
    Es lag bei ihr keine Schmutzwäsche herum, natürlich nicht, und doch herrschte in dieser Wohnung, die ihr von der Verwaltung
     zugewiesen war, eine gemäßigte Unordnung, nicht alles war an seinem Platz, die Kissen, die wahrscheinlich sonst auf der Sofalehne
     lagen und auf denen sie ihren Kopf bettete, waren auf den Boden gefallen, ich sah den Zahnputzbecher und die auf der Kappe
     stehende Pastatube auf dem runden Beistelltisch |338| neben dem Bett. Sie lebte in einem großen Zimmer mit einer Kochnische und einer Naßzelle, sie hatte das Zimmer mit zwei Paravents
     in kleine Puppenräume unterteilt, und jetzt, da sie einen nicht sehr fremden, nicht sehr vertrauten Mann mit nach Hause genommen
     hatte, schob sie die niedrigen Stellwände zum Fenster, die Vorhänge waren zugezogen, Mondlicht schimmerte auf dem Holzfußboden,
     und sie trat auf die Schimmer, als sie zum Hängeschrank eilte, zwei Weingläser herausnahm und auf den Tisch in der Mitte des
     Zimmers stellte, bitte keinen Wein, sagte ich, ich bleibe lieber weiter abstinent, ich habe mal sehr viel getrunken, dann
     war aber Schluß … Wieso erklärte ich mich ihr? Sie goß mir Leitungswasser in das Glas, und in ihr Glas Rotwein, sie stieß
     nicht mit mir an.
    Was ist also passiert? sagte ich, verzeih’ meine Neugier.
    Mit mir? sagte sie, in

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