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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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wieder in die Jackentasche, ich aß am Würstchenstand
     gegenüber vom Stephansdom scharfe ungarische Debreziner mit scharfem Senf, die Hitze war unerträglich, und mir brannten die
     Unterlippe und die Zungenspitze, ich lief in die Menge der mit Blitzlicht fotografierenden Touristen, sie hatten in einer
     Seitenstraße einen günstigen Winkel gefunden, aus dieser Perspektive hatten sie eine gute Aussicht auf das Ziegeldach zwischen
     dem Singertor und dem Südosteingang. Ein erhitzter Patriot hatte auf die Hausfassade unter einem ausladenden Erker seine Liebesbotschaft
     gepinselt: Alles Erdreich ist Österreich untertan, ein Gläubiger hatte die Parole mit einem Stern versehen und eine Fußnote
     angebracht: Was wir haben sind Gottes Gaben. Auch ich wollte in wenigen Kreidestrichen meine Worte und meine Buchstaben aufschreiben,
     auf die Pflastersteine, auf die Bürgersteigkanten, auf die Tischtücher, und es würden sie die richtigen Männer und Frauen
     lesen, ich war mir sicher, daß alles einen Sinn ergab, ich war mir sicher, daß die Schöne ihre geborstene Hülle abgestreift
     hatte und daß nicht nackte rohe Larvenhaut zum Vorschein kam. Sie hatte sich nicht leergeträumt. Ich hatte mich nicht leergeträumt,
     ich schaute immer noch dem Zigarettenrauch |329| hinterher und versuchte zu verstehen, wieso ich in diesen Augenblicken große Gefühle hatte, vergeudet versäumt vertan, verlesen
     vergangen verloren, das war früher, denn der Schlafwandler, der seine Handknöchel an meiner Tür rieb, ging mich nichts an,
     die die Blätter an den Bäumen grünen und welken ließen, gingen mich nichts an, und es war nichts Lächerliches an dem Gedanken,
     daß ich tat, was Tyra mir aufgab, daß ich das Versprechen hielt, das ich Jarmila gegeben hatte. Lächerlich war ich ohne ihre
     Schönheit. Lächerlich wäre es gewesen, nicht ins Taxi zu steigen, und doch tat ich es nicht, sondern ging zu Fuß zur Augustinerkirche,
     der Wurstverkäufer hatte mir den Weg beschrieben, rechtsrum und linksrum und rechtsrum, der Taxichauffeur wird Sie aus dem
     fahrenden Wagen rauswerfen, mein Herr, hatte er gesagt, suchen Sie die Schattenplätze, Sie brauchen nur von einem Schattenstreifen
     zum nächsten zu hüpfen, und schon stehen Sie vor dem Haus des Herrn, und tatsächlich kam ich gut voran und war bald da und
     schlüpfte in die Kirche, die Loretokapelle aber war für Besucher unbetretbar, ich setzte mich auf einen Holzstuhl und las
     das Schild im Eingang der Herzgruft: König Ferdinand IV. verfügte in seinem Testament, daß sein Herz zu Füßen der Gnadenstatue
     von Loreto beigesetzt werden soll. So entstand der Brauch, die Herzen der Habsburger in der Loretokapelle beizusetzen. Die
     Gruft birgt vierundfünfzig Herzen. Das älteste stammt von der Kaiserin Maria Anna (gest. 1618), das letzte Herz vom Vater
     von Kaiser Franz Joseph, von Erzherzog Franz Karl (gest. 1878).
    Viel später, in der schwülen Nacht dieses Tages, lange nach Mitternacht, lag ich im Bett, die dicke Decke hatte ich abgeworfen
     im leichten Schlaf, ich war aufgewacht, weil ich den alten Kutscher im Traum gesehen hatte, er stand mit geschlossenen Augen
     vor meiner Tür, reglos |330| untot halb verdorben, und seine Fingerspitzen zitterten und seine Arme schlackerten, und da hörte ich einen Mann und eine
     Frau mit harten Zischlauten vor meiner Zimmertür tuscheln, es dauerte einen langen angstvollen Augenblick, bis ich begriff,
     daß sich der Traum verflüchtigt hatte, und da hörte ich, wie Reißverschlüsse auf- und zugezogen wurden, dieser Mann und diese
     Frau, sie waren bestimmt Hotelbedienstete, die Kissen in die frischgewaschenen Bezüge stopften, der Zimmermädchenwagen stand
     ja in der Kammer am Ende des Flurs neben meinem Zimmer. Sie verabredeten sich für die Zeit nach der Arbeit, so viel verstand
     ich. Gott, dachte ich. Und bei diesem Gedanken zog ich meine Hand von meinem Geschlecht, es war mir also doch in Fleisch und
     Blut übergegangen, die sanften Unterweisungen von früher hatten also doch verfangen, und ich erinnerte mich, daß ich die Beine
     nicht mehr übereinandergeschlagen lassen konnte, wenn jemand von Gott sprach. Wo war Tyra mit ihren Gedanken? Lag sie allein
     in ihrem Bett und dachte an den Tag der Berührung, die sie ihr schönes ziviles Leben weiterführen ließ, es hatte sie berührt,
     eine seltsame Ungläubige war sie geworden, denn sie hatte in Neapel, in dieser plebejischen Stadt, einen Blick auf die andere
    

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