Liebesbrand
Aufwachen.
Das ist gut, sagte sie, ich kann es nicht leiden, daß Männer mir ihre Träume erzählen.
Das habe ich noch nie getan, log ich.
Du hast mir beim ersten Kuß heute auf die Zunge gebissen.
Du hast zurückgebissen, sagte ich.
|344| Du hast mir meine Augen geleckt, sagte sie.
Sie waren geschlossen.
Und dann, als ich dachte, sie sähe die Zeit für gekommen, aufzustehen und sich wenigstens ein langes Herrenunterhemd von ihrem
ehemaligen Mann anzuziehen, wurde sie für wenige Augenblicke schamlos, sie nahm meine Hand und drückte sie auf ihr feuchtes
Geschlecht, nur kurz und fest, um mich danach Zentimeter für Zentimeter wegzuschieben von sich, ich leistete keine Gegenwehr,
ich rutschte bis zum äußeren Ende. Einen weiteren Kuß duldete sie nicht, und doch ließ sie meine reglose Hand zwischen ihren
Schenkeln ruhen. Zehn zwanzig dreißig Herzschläge später war sie eingeschlafen, sie lag auf dem Rücken, ich lag auf dem Rücken,
ich blickte auf mein halb ausgetrunkenes Glas Wasser, ich war eine kleine Kreatur, die in Gegenwart von Frauen einige Schlucke
trank, ich war keine kleine Kreatur, weil ich meinen Blick über die Gegenstände ihres Lebens schweifen ließ, dort der Buchaufsteller
aus schwarzem Plastik, auf dem Regalbrett, auf dem ein Dutzend zerlesene Taschenbücher standen, und in einer Ecke des Raumes
ein Objekt aus patiniertem Kupfer mit eingelegtem Blattgoldquadrat. Meine Frau meine Frau meine Frau, dein Glaube bleibt dein
Geheimnis, aber auch ich kenne es, auch ich weiß, was geschieht, wenn der Grassamen, der auf Stein fällt, aufgeht, sage es
nicht weiter, flüstere das Gebet im Schlaf wie in deinen wachen Stunden.
Am nächsten Morgen gab es kein gemeinsames Frühstück, ich war darauf vorbereitet, lass’ dir den Kaffee von einem Kellner bringen,
rief sie aus dem Bad, sie öffnete die Badezimmertür, sprach diese wenigen Worte und schloß sie wieder, ich hätte sie so gerne
bei Tageslicht geliebt, aber ich zog mich hastig an und rieb mir über |345| die Augenwinkel, und da fiel mir der gefaltete Zettel auf der Fußmatte auf, sie bat mich in wenigen Zeilen, sie die nächsten
anderthalb Tage in Ruhe ihrer Wege gehen zu lassen, ihre Seele verstünde keinen Spaß. Deine Seele verträgt keine Scherze,
dachte ich, ich gerate an ernsthafte Frauen, die mich fortschicken nach der Liebesnacht, die meine Hand auf ihrer Brust oder
auf ihrem Geschlecht dulden und mich aber nicht ansehen wollen, weil sie mir den Rücken zudrehen und die Gardinen aufziehen
und sich im Bad einsperren.
Vor einer ehemaligen Plissee-Werkstätte fegte ein Mann den Bürgersteig, er führte leise Selbstgespräche, ich wechselte die
Straßenseite, bog ab, um seine Flüche nicht hören zu müssen, und fand mich in der Maria-Treu-Gasse. Im Anfang der kleinen
Straße, hinter der baumüberdachten Terrasse eines italienischen Eiscafés, sah ich die Piaristenkirche, und als ich auf dem
Vorplatz der Basilika stand und zur Pestsäule hinaufschaute, schaltete ich mein Mobiltelefon ein, tippte eine Nummer, und
natürlich meldete sich Jarmila nach dem ersten Klingeln.
Ich bin’s, sagte ich, ich habe wieder eine Pestsäule gefunden.
Wie sieht sie aus? sagte sie, beschreibe sie mir.
Sie wurde siebzehnhundertdreizehn zum Dank für das Ende der Pest errichtet.
Das interessiert mich nicht.
Gut, sagte ich, ich sehe hoch oben auf der Säule Maria mit gefalteten Händen, sie steht auf einer gehörnten Kugel, und eine
Schlange windet sich zu ihren Füßen.
Kommt die Schlange in Berührung mit der Heiligen Jungfrau? sagte sie leise.
Nein, sagte ich.
Sehr schön, rief sie, wieso bist du so früh wach?
Es ist unglaublich heiß in Wien, sagte ich, die Männer |346| sterben an Herzinfarkt, sie fallen um, und bevor sie auf dem Boden aufschlagen, sind sie gestorben. Du konntest nicht schlafen?
Doch. Aber die Sonne ist sehr hell und scheint durch die dunklen Gardinen.
Soll ich andere Männer für Geld bedienen?
Weshalb fragst du mich?
Meine gewesene Freundin, sagte sie, ich habe mich doch mit ihr getroffen, ich kann ihr ja nicht den Rest meines Lebens aus
dem Weg gehen. Es hat sich keine häßliche Szene abgespielt, sie war sehr diskret, und für den Anlaß hat sie sich auch sehr
unauffällig angezogen. Man hätte meinen können, daß sie eine Studentin ist, schlichtes dunkelblaues Polohemd, eine verwaschene
Jeans, Zopf, keine bis dezente Schminke. Sie hat nicht mit mir gespielt, und
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