Liebesbrand
Blicken verbergen, die Schwulen hatten damit angefangen, die Schwulen hatten die Entblößung zur Kulturleistung erhoben, ach
Blödsinn, dachte ich, die Schwulen waren eben nicht die Vorreiter der Entmannung, als die sie heimlich von Familienvätern
angesehen und bewundert wurden, sie zogen nur leider nach, sie fanden nichts mehr dabei, sich einzugliedern. Wahrscheinlich
lag es an meinem hohen Fieber, daß mich meine Gedanken zum Idioten degradierten.
Ich habe dich etwas gefragt! rief der Friedhofsgärtner.
Entschuldige, sagte ich und meinte meine wütenden Worte.
Gut, sagte er, du hast recht, sie ist eine unverschämte Person, meinetwegen. Aber …
Sie neckt dich, sie lädt dich nicht ein.
Wirklich?
Sie hat mit deiner Reaktion gerechnet. Sie überrumpelt dich mit den Postkarten. Sie weiß, daß du dir dann über ihre Absichten
den Kopf zerbrichst. Und siehe da, es trifft das ein, was sie sich erhofft hat.
Richtig, sagte er.
Willst du dich auf ihr Spiel einlassen, so mußt du ihr
|77| auch absurde oder perverse Karten schicken. Nur, sie wird es, so wie du sie mir schilderst, herumzeigen, und du wirst dich
bei deinem nächsten Besuch vor deinen Onkeln und Tanten und deinen Eltern rechtfertigen müssen.
Sie plant weit voraus, stellte er fest.
Eine kluge Frau, deine Ex-Freundin, sagte ich, stand auf und lief die Straße herunter, ich fror, ich mußte aber noch den Wochenendeinkauf
hinter mich bringen, der Friedhofsgärtner rief mir etwas hinterher, es war mir egal, ich hatte sein Versteckspiel satt. Zufällig
hatte sich seine ehemalige Freundin mit meinem ehemaligen Geschäftspartner zusammengetan, und ich hatte mich breitschlagen
lassen, sie in ihrer gemeinsamen Wohnung zu besuchen, das junge Glück war perfekt, in der Küche hingen Reproduktionen der
Meisterwerke orientalischer erotischer Kunst, und ich saß am Tisch und lief schamesrot an.
Natürlich hatte meine Reaktion die neue Freundin meines damaligen Geschäftspartners belustigt, und natürlich versuchte ich
nach Kräften, auf ihre kleinen Provokationen nicht einzugehen. Als ich glaubte, es nicht mehr aushalten zu können, täuschte
ich Müdigkeit vor und verabschiedete mich nur von ihm. Sie hatte die Tür hinter mir geschlossen und angefangen zu lachen,
ich hatte ihr höhnisches Gelächter noch im Ohr.
Im Supermarkt ging ich an den Konservendosenregalen vorbei, ich konnte nicht kochen, ich aß meist draußen, in den Monaten
vor meiner Abreise hatte ich von den Gerüchten gehört, ich wäre ein gemachter Mann, denn ich würde das Mittag- und Abendessen
in teuren Restaurants einnehmen, und wenn man ein Essen mit fünfzehn Euro veranschlagte, käme man auf neunhundert Euro im
Monat. Ich war mir sicher, der |78| Klatsch wurde vom Küchenpersonal weitergetragen, und ich hatte die Personalchefin im Verdacht, daß sie mir nicht die Erbse
gönnte, die ich mit dem Gabelzinken aufspießte. Also ließ ich mich nicht mehr in der Öffentlichkeit blicken, es waren sowieso
seltsame Zeiten, in denen alleinstehenden Männern Gerüchte zum Verhängnis wurden. Ich füllte meinen Warenkorb mit Brot und
Aufschnitt, mit Waffeln und acht Flaschen Karottensaft. An den Kassen bot sich mir ein vertrautes Bild, Ehefrauen und Ehemänner
über sechzig trennten sich und stellten sich in zwei verschiedene Schlangen, sie waren wegen des Unisex-Kurzhaarschnitts kaum
auseinanderzuhalten, und sie liebten es, schlau zu sein und eine halbe Minute weniger anstehen zu müssen. Meist winkte die
Ehefrau den Mann herbei, er löste sich umständlich aus seiner Schlange und schob den vollen Einkaufswagen zur anderen Kasse.
Ich wünschte mich weit weg, dieses Leben, das ich mit solchen Menschen teilte, und das sie gezwungen waren, mit mir zu teilen,
war kein Leben. Ich zuckte zusammen, als ich eine Hand auf meiner Schulter spürte, es war Malwin, der Betreiber eines Kaffeehauses
in meiner Nachbarschaft. Wenn er Männer ansprach, hörte es sich für Außenstehende an wie die Vernehmung eines gefangengenommenen
Feindes, ansonsten wußte ich nicht viel von ihm, er hatte einen Vater, der die Kuchen backte, die Malwin ab einundzwanzig
Uhr mittwochs und donnerstags für die Hälfte des regulären Preises anbot. Er sprach von der Sitzparty am heutigen Abend, und
ich erzählte ihm eine Lügengeschichte, als er wissen wollte, wie ich zu all diesen vielen Schnitten im Gesicht gekommen wäre.
Hatte er mich nicht öfter als nötig belogen? Und
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