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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Starren peinlich wurde, kam der Friedhofswärter im grünen Monteuranzug, seinen Namen hatte er mir
     nicht verraten, und ich hatte auch nie nachgefragt. Hier, sagte er, streckte mir eine Postkarte hin und eilte ohne weitere
     Worte in die Bäckerei. Bei dem Kartenmotiv handelte es sich um eine bizarre orientalische Miniatur aus einem vergangenen Jahrhundert,
     die Personen waren in einer fast geometrischen Anordnung von oben nach unten gestaffelt, die Illusion von Perspektive wurde
     über harte Farbbrüche gestiftet. Im oberen Drittel saßen vier junge Frauen mit tiefem Ausschnitt im Schneidersitz, eine fünfte
     ältere Frau, das Haar züchtig bedeckt, drückte die Hände auf die Ohren, tiefe Magenfalten durchschnitten ihre Mundwinkel.
     Sie war entsetzt. Die Mädchen waren zwar in Verwunderungsgesten eingefroren, doch wenn man ihre Gesichter musterte, konnte
     man feststellen, daß sie den großen Jammer nur vortäuschten. Sie alle versuchten, den Blick von der Szene in der unteren Bildhälfte
     abzuwenden, doch halb schauten sie weg, halb starrten sie hin: Ein Mann und eine Frau mit entblößten Unterleibern stoben auseinander,
     der Mann im Kaftan hatte vor Schreck die Augen weit aufgerissen. Ein behörntes Tier streckte rechts in der Mitte die Vorderläufe
     aus, er wurde von einer hohen Wand halb verdeckt. Ich drehte die Karte um und las den Titel der Miniatur: Der Widder belästigt
     ein Liebespaar. Ehe ich dazu kam, die Zeilen zu entziffern, die zweifellos eine Frau geschrieben hatte, wurde sie mir aus
     der Hand gerissen.
    |72| Wer fremde Post liest, hat einen Charakterfehler, sagte der Friedhofswärter, er stellte einen Chromstuhl neben den Tisch,
     ging hinein und kam mit einer Tasse Kaffee und einem Teller heraus, auf dem zwei gebackene Käsekuchen lagen. Er würde sie
     in den nächsten zehn Minuten essen, er bot nichts an.
    Was hältst du davon?
    Lustig, sagte ich.
    Du siehst wirklich schlimm aus, sagte er, du hast dich nicht etwa geprügelt?
    Ich kann mich nicht schlagen, sagte ich, ich ziehe dabei immer den kürzeren.
    Was hältst du wirklich von … dieser Karte?
    Kein konventionelles Motiv, sagte ich.
    Ach wirklich? sagte er und klaubte ungelenk eine Zigarette aus der Schachtel, er gehörte zu den Männern, die mindestens dreimal
     am Rädchen drehen müssen, bis der Funke springt, er inhalierte tief und hielt den Rauch lange in der Lunge, als er sprach,
     quoll der Rauch aus seinen Nasenlöchern.
    Es sieht folgendermaßen aus: Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich bekomme nicht alle Tage solche Post. Ehrlich gesagt,
     es ist das erste Mal. Also nein, das zweite Mal. Diese Karte ist durch viele Hände gegangen, bis man sie in meinen Briefkasten
     gesteckt hat.
    Mach’ dir keine Sorgen, sagte ich.
    Ich brauche keinen Psychiater, fuhr er mich wütend an, er steckte seine Hand in die Brusttasche seines Überziehanzugs und
     förderte nach kurzem Zögern eine Postkarte zutage, und da er mich von der Seite böse ansah, tat ich so, als interessierte
     ich mich nur für den Bus, der gerade die Haltestelle anfuhr. In meinen Lungen brannte ein kleines Feuer, die Kopfschmerzen
     brachten mich um, ich nahm eine gerade Sitzhaltung ein, und plötzlich blitzte es vor meinen Augen auf, die Schreie, das Feuer, |73| die knappe Rettung, die Gesichter, ich hatte in das Gesicht eines Toten und eines Schwerverletzten geschaut, zwei verbotene
     Blicke, das Blut, das aus den seelenlosen Körpern quillt, der Rauch, die Nacht …
    Hier, rief der Friedhofsgärtner, damit hat es angefangen.
    Ich folgte seiner Bitte, die Karte diskret unter der Tischplatte zu betrachten, diesmal las ich zuerst den Titel der Miniatur:
     ›Eine Frau, die dem Richter ein handgefertigtes Ersatzglied zeigt, um von ihrem impotenten Mann geschieden zu werden.‹ Der
     Richter saß auf einem teppichbezogenen Podest an einem Lacktisch, er hielt das Beweisstück in der Hand, musterte es mit hochgezogenen
     Augenbrauen, es war ersichtlich, daß ihm die ganze Angelegenheit lästig war, aber die Klägerin war mit Zeugen erschienen,
     Vater und Mutter standen hinter ihr und hielten sich vornehm zurück – bei dem dritten Zeugen stutzte ich, es konnte sich um
     den Bruder oder aber auch um den Nebenbuhler handeln. Doch ich verdrängte sofort diesen abwegigen Gedanken, die Ehefrau hätte
     sich damit nur in eine schwächere Verhandlungsposition begeben. Der Ehemann stand mit fromm geschürzten Händen allein in seiner
     Ecke, und obwohl in der

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