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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Nie daran gedacht, wieder einzusteigen? sagte der Weise.
    Nein, ich habe damit abgeschlossen.
    Jetzt musterten sie mich, ich erzählte keine Anekdoten aus der Zeit damals, ich pumpte mich nicht auf, weil ich es ›geschafft‹
     hatte, es hätte keinen Sinn gehabt, den beiden geldgeilen Türken auseinanderzusetzen, daß ich dem Kapitalismus nach den Jahren
     der Abnutzung gerne aus der Ferne zusah, wie er funktionierte, ich war drin gewesen, und kurz bevor ich als Kadaver ausgespuckt
     wurde, war ich freiwillig gegangen. Ich hatte es nicht geschafft, ich war ein Krüppel.
    Siehst du den Buckel dort unten, sagte der Weise plötzlich und zeigte auf eine winzige Erhebung im Rasen.
    Meinst du die Beule? sagte ich.
    Ja genau, sagte er, du wirst nie drauf kommen, was da begraben ist.
    Ein totes Haustier?
    Darüber mußten die beiden lange lachen, ich schwieg und zog an meiner Zigarette.
    Ein Hahn wurde zur Feier des Tages geköpft, sagte der Held, der Hahnenkopf wurde mit der Vorhaut des Kleinen in Zeitungspapier
     eingewickelt und im Garten begraben.
    Du machst Scherze, sagte ich.
    Wir haben es mit eigenen Augen gesehen, sagte der Weise, wir zogen es vor, das Begräbnisritual von hier aus zu verfolgen.
    Und die deutschen Nachbarn?
    Denen ist doch egal, was unter der Erde modert – solange es nicht chemischer Abfall ist.
    Der Vater … mein Cousin gab seine Einwilligung? sagte ich dumm, wohl wissend, daß nichts in diesem Haushalt ohne seine ausdrückliche
     Erlaubnis geschah.
    |124| Er war der Zeremonienmeister, sagte der Held grinsend, aber so geheuer war es ihm doch nicht.
    Wieso hat er es getan? sagte ich.
    Genau diese Frage wollten wir dir stellen, sagte der Held, nicht, daß wir uns große Sorgen machen würden, aber …
    Er sprach den Satz nicht zu Ende, doch auch so verstand ich, worauf er hinauswollte: Er hungerte nach Klatsch, er gierte nach
     abfälligen Bemerkungen über meinen Cousin, damit er sie ihm zutragen konnte, der Zwist zwischen Fastbrüdern war ein schönes
     Schauspiel, und wieso sollten der Heilbringende Held und der Weise Mann einfach nur danebenstehen. Ich konnte es nicht fassen,
     daß er … diese beiden Sachen dort vergraben hatte, sein Sohn würde von der Schaukel auf die Stelle starren, wo … Was für eine
     furchtbare Indiskretion, dachte ich, wie kann er nur so borniert sein! Ich behielt meine Gedanken für mich.
    Ich habe seine Frau nach dem Sinn gefragt, sagte der Weise, und sie hat mir gesagt: Mein Sohn ist der Erstgeborene, deshalb.
    Die schöne alte Barbarei stirbt nie aus, sagte der Held.
    Einmal war ich auf einem Beschneidungsfest, sagte ich, ich mußte immer Fotos schießen, die Mutter des Knaben stand hinter
     mir, drückte mir auf die Schultern, damit ich ihre Sicht nicht versperrte, sie kam mir unerträglich nahe, seltsam, daß es
     ihrem Mann nichts ausgemacht hat – er stand ein paar Schritte abseits und lächelte wie ein Angestellter am Tage seiner langersehnten
     Beförderung. Dabei war es doch sein Sohn, dem das zustieß, der Sohn hat kurz aufgeschrien und wurde später im Prinzenkostüm
     auf den Schultern getragen. Jetzt wirst du bald ein Mann, bald bist du ein Mann, und dann kann ich dich nicht mehr ins Dampfbad |125| mitnehmen, rief seine Mutter von hinter meiner Schulter, die Frauen, die nackten Frauen sind dir verboten. Ich schoß Fotos,
     ich fotografierte auch den Beschneider, der hauptamtlich ein Friseur war, aber er hatte es zur großen Kunst erhoben, das Vorhautabschneiden.
     Ich fotografierte die Frauen und Kinder und auch die Männer, sie alle waren stolz und glücklich, ich hatte das Glück der anderen
     zu fassen bekommen.
    Worauf willst du eigentlich hinaus? sagte der Weise. Barbarisch ist gut, sagte ich und bat um Entschuldigung, ich müßte drinnen
     nach dem Rechten sehen, das war wieder eine Floskel, die mir entschlüpfte, aber es war besser, als eine angewiderte Miene
     zur Schau zu stellen, Nikotin greift die Herzmuskeln an, rief einer der beiden mir hinterher.
    Ich hätte jetzt feiern können, nur war ich beschäftigt mit meinen Gedanken. Die üblichen Gedanken an Tyra. Gedanken, die mir
     nicht halfen. Die eine ungesunde Wut befeuerten. Die sich wieder und immer wieder um die Schöne drehten.
    Hast du meinen letzten Brief erhalten? flüsterte die Frau des Cousins, sie hatte mich erschreckt, und sie rang die Hände,
     aus Furcht, gescholten zu werden.
    Ja, sagte ich, wenn du weiter flüsterst, wird man glauben, wir beide hätten eine heimliche

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