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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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hundertfünfzig Euro enthielt, unter das Kissen, so ging der Brauch, ich war mir sicher, sie
     würden mir Herzlosigkeit und Geiz vorwerfen, hundertfünfzig Euro waren in ihren Augen zu wenig, ein ehemaliger Mann der Börse
     mußte ihrer Meinung nach mit seinem Geld protzen. Sie bedankten sich halbherzig. Hast du draußen die heulenden Bäume gesehen?
     sagte mein Neffe.
    Ja, sagte ich, das Schlimmste ist vorbei, der Sturm … der Orkan war richtig tüchtig, er hat einigen Schaden angerichtet.
    Was denn?
    Ein Baukran ist auf ein Gebäude gekippt, Bäume wurden entwurzelt und Häuser abgedeckt, Lärmschutzwände weggefegt. Das alles
     hast du geschafft, Orkan.
    Es gab Tote und Verletzte, sagte der Cousin, es ist pietätlos, darüber lahme Witze zu machen.
    |121| Da war sie wieder, die strenge Stimme der Vernunft, die aus ihm sprach, er hatte eine Feier für seinen Sohn ausgerichtet,
     und doch mußte man, mußten Gastgeber und Gäste und auch sein frisch beschnittener kluger Sohn vernünftig bleiben, ich durfte
     also auch nicht erzählen, was ich heute in der Zeitung gelesen hatte: Das zuständige Amt hatte eine Tötungsanordnung für einen
     Rottweiler erlassen, der seinen dauerbetrunkenen Besitzer totgebissen hatte, und in der kleinen Meldung war zu lesen gewesen,
     daß der besagte Rottweiler, der auf seine Hinrichtung wartete, sich von jedem kraulen ließ, sein besoffenes Herrchen ihn aber
     immer verfluchte und verprügelte. Ich traute dem Cousin zu, daß er Partei ergriff für den toten Mann, denn es gab nun mal
     eine Hackordnung, ein Tier war einem Menschen nicht ebenbürtig, und wo die natürliche Hieb- und Stichordnung gestört wurde,
     mußte man den oder die Aufständischen mit aller Härte bestrafen. Er war schon ein Kuriosum, der Cousin, er war eine sprechende
     Wachsfigur. Seinen Sohn erzog er streng, denn er war von dem Glauben nicht abzubringen, daß Gott ihm ein Wunderkind geschenkt
     hatte, sein Sohn nahm also Klavier- und Klarinettenunterricht, und es war ihm strengstens untersagt, mit anderen Türkenkindern
     Freundschaft zu schließen. Ein Wunderkind in Deutschland mußte spätestens mit zehn Jahren so gut Deutsch sprechen wie ein
     Germanist. Mein Neffe sprach akzentfrei Deutsch, und doch vermied er es, lange Sätze zu bilden, denn dann fing er an, seltsam
     zu lispeln. Sein Vater hatte ihm einen Korken zwischen die Zähne gesteckt, und Orkan hatte dann, mit dem halben Korken im
     Mund, sprechen müssen, diese Übungen dauerten jeweils eine halbe Stunde und wurden mittags und abends vor dem Zubettgehen
     abgehalten. Er lispelte immer noch. Das alles wußte ich aus den Briefen, die mir die Frau meines |122| Cousins heimlich schickte, sie hatte mich in ihrem ersten Brief darum gebeten, bloß nicht zu antworten, ich ginge keine Verpflichtung
     ein, und sie schrieb sich vielleicht einen Teil der großen Depression von der Seele, es war eigentlich widerlich, daß eine
     solch kluge Frau wie sie dazu verdammt wurde, als Hausfrau zu arbeiten. Ich neckte meinen Neffen ein paar Minuten, dann wurde
     ich vom Cousin daran erinnert, daß die Besuchszeit vorbei wäre und wir Orkan verlassen mußten. Was hinderte mich daran, auf
     dem Mund des Dreckskerls einen gezielten Hieb zu landen? Die Angst vor seinem Gegenschlag.
    Er führte mich aus dem Schlafzimmer, ich bedeutete ihm, daß ich eine Zigarette rauchen wollte, er schloß die Balkontür auf,
     und ich trat auf den Balkon, ließ den Blick über den Rasen gleiten, der Kinderspielplatz bestand aus einem Sandkasten, einer
     Rutsche und einer Schaukel. Ich wußte aus einem Brief, daß mein Neffe, in den glücklichen Stunden, da er der Erziehungsgewalt
     seines Vaters entzogen war, dort unten schaukelte, meine Füße stechen Löcher in den Himmel, rief er dann, und seine Mutter
     setzte sich manchmal auf die Schaukel, nahm Orkan auf den Schoß und stieß sich ab. Eine Freundin von ihr reichte mir durch
     den Türspalt einen Pappteller, der vom Öl der gefüllten Paprikaschoten halb aufgeweicht war, ich mußte wohl oder übel davon
     probieren. Bald kamen zwei Männer hinzu, glattrasierte Gesichter, zurückgekämmte Haare, sie stellten sich vor, Tekinalp und
     Kerem, ich übersetzte ihre Namen im Geiste ins Deutsche, sie hießen: Heilbringender Held und Weiser Mann, Indianer, dachte
     ich, ich bin unter die Indianer geraten.
    Was machen die Geschäfte, sagte der Held und machte den klassischen Eröffnungszug.
    Weiß ich nicht, sagte ich, ich bin raus.
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