Liebesbrand
seine Freundinnen nicht vor.
Genauso wie du.
Alte Neumünsteraner Schule, sagte Gabriel, ich habe ihn jedenfalls noch nie tändeln sehen. Auch in der Zeit, als er von Sozialhilfe
lebte, hat er sich nach anderen Möglichkeiten umgeschaut.
Ein Ex-Kollege von mir war ähnlich hyperaktiv, sagte ich.
Er wird mir das richtige Auto verkaufen, und in ein paar Wochen habe ich die Südländerin vergessen.
So einfach?
Ja, so einfach.
Dann war’s nicht die große Liebe, sagte ich.
Es kam ihr sehr nahe, verdammt nahe sogar. Ich bin zwar halbtot vor Kummer, aber ich habe auch meine stillen Reserven.
Wohin fährst du?
Du hast es hinter dir, ich stecke mittendrin, sagte er, ich muß Geld verdienen.
Ich komme mit.
Gabriel lenkte den Wagen am großen Einkaufstempel vorbei, wechselte die Spur und fuhr bei Gelb an der |159| großen Kreuzung mit dem sechsstöckigen Geschäftshaus nach rechts, fast hätte uns ein Rechtsabbieger gerammt, der Fahrer überholte
uns hupend, ich sah auf den Friedhof mit der hohen Steinmauer, eine pompöse Familiengruft erhob sich aus dem Feld der Grabsteine,
eine kleine Trauergemeinde zog langsam in Richtung der Sitzbank, auf der meine ehemalige Freundin saß, immer an Sonntagnachmittagen,
und an einem schönen Sommertag hatte sich ein elender Spanner hinter einer Eiche versteckt und sich befriedigt, sie hatte
ihn viel zu spät bemerkt und dann einen Vogelschrei ausgestoßen, der den Mann in die Flucht schlug. Sie wußte nur, daß der
Kerl einen langen Mantel trug und sich das Licht an seinen Bartstoppeln brach, es blitzten kleine Lichtglimmer in seinem Gesicht,
sagte sie damals, und ich hatte es für ungewöhnlich befunden, es hatte mich angewidert, dieses Detail hätte ihr nicht auffallen
dürfen, denn der Voyeur war damit kein wirklich anonymer Täter mehr. Ich war derart zornig gewesen, daß ich davon gesprochen
hatte, die Perversen, die Kinderschänder und die Vergewaltiger sofort an die Wand zu stellen, sie sollten büßen, wer bei einer
widerlichen Tat erwischt wird, muß hart angegangen werden, sagte ich und kam mir dabei kein bißchen dumm vor. Natürlich hatte
sie eine Anzeige gegen Unbekannt wegen sexueller Belästigung erstattet, und dann hatte sie mich einen Prothesengott genannt,
nach Freud war das ein lächerlicher Mensch, der die Gottgleichheit anstrebte. So viele Prothesengötter liegen unter der Erde,
dachte ich, dort auf dem Friedhof, und endlich schaltete die Ampel auf Grün, Gabriel fuhr einmal um den Block und fand in
einer Seitenstraße einen Parkplatz. Ich wartete neben ihm, bis er den richtigen Schlüssel am Schlüsselring gefunden hatte,
er schloß auf und stieß sich drin gleich an der CD-Kiste mit den Sonderangeboten, er konnte sie |160| gerade noch an einer Kante festhalten, und ich half ihm die nächste halbe Stunde, die vollen Kartons aus dem Weg zu schaffen,
schließlich hatten wir einen kleinen Durchschlupf zum Kassentresen freigelegt. Er nahm auf einem Barhocker Platz, ich setzte
mich auf den zweiten Hocker und stützte die Füße auf dem kaputten Lautsprecher, von dem Gabriel seit zwei Jahren behauptete,
er könne ihn reparieren, nur fehlte ihm einfach die Zeit. An den Wänden standen hohe Regale, in die Gabriel die CDs nicht
etwa nach der Musikrichtung sortiert hatte, sondern nach dem Einsatzgrad der Elektrogitarre, der neumodische Kram, wie er
es nannte, wurde von ihm in Bananenkartons gesteckt, und wer wollte, konnte stöbern und eventuell etwas nach seinem Geschmack
finden. Gabriels glorreiche Tage als Verkaufsgenie waren eindeutig vorbei, er hielt die Stellung. Auf meine Frage nach dem
Sinn seines Plattenladens hatte er auf Grabinschriften auf dem Friedhof in Koldenbüttel hingewiesen, die, von dem jeweiligen
Namen und Familiennamen abgesehen, immer nur aus drei Wörtern bestanden:
Hans Kroll
Hic resurrectionem expectat
(Hier erwartet Hans Kroll die Auferstehung)
Gabriel wartete also auf und erwartete die Auferstehung in seinem Geschäft, und es galt, mit kleinen Geschäften die Zeit zu
überbrücken, doch es kamen fast nur Menschen herein, die aussahen wie Strandgutsammler, und sie wollten nicht kaufen, sondern
verkaufen, sie legten den Stapel CDs auf den Ladentisch, bekamen einige wenige Münzen in die Hand gedrückt und hasteten nach
draußen, um ihre kläffenden angeleinten Hunde zu überbrüllen, und nachts schlichen die Jugendlichen |161| herum, die Dockarbeiterwollmützen tief ins Gesicht
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