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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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spiegelte
     sich im Splitter. Das war meine schöne kleine Welt, mein kleines Leben.
    Gabriel richtete sich plötzlich auf, die Teebeutel fielen ihm von den Augen, er stürmte hinaus, wählte eine Nummer und ging
     beim Telefonieren auf und ab, dann beendete er das Gespräch und stürmte wieder herein.
    Wußte ich’s doch, rief er aus, die Ü-30-Party ist heute.
    Ü? sagte ich.
    Die Über-Dreißigjährigen. Die Enddreißiger werden wohl die Jüngsten sein.
    Und was machst du da?
    Die Frage lautet: Und was machen wir beide dort? Es ist ein Ball der einsamen Herzen. Wir sind nicht in Berlin oder München,
     dort gehen die Sitten anders, die Leute sind aber unglücklicher als die Menschen in Kiel.
     
    |164| Also: Wir werden auf der Party natürlich auftauchen, und in den drei bis vier Stunden, die wir dort verbringen, werden wir
     sehen, ob sich eine Frau für uns interessiert.
    Das ist doch vulgär! sagte ich.
    Ach ja? Du klingst wie eine bürgerliche singende Säge. Der Paarungsaufwand ist nicht vulgär, er ist notwendig. Ich schlüpfe
     in ein sauberes Hemd und kämme mir die Haare. Ich bezahle das Eintrittsgeld und setze ein tapferes Gesicht auf.
    Man wird uns genau ansehen, was wir vorhaben, sagte ich.
    Es ist eine Art Fest, stellte Gabriel fest, die Frauen sind keine Damen von reizbaren Nerven, sie fallen nicht bei unserem
     Anblick um.
    Ich bin verliebt.
    Lass’ die Schwärmereien. Komm mit.
    Ich versprach es ihm, es wäre mir falsch vorgekommen, zu kneifen. Ich stieg die Treppen zu meiner Wohnung hoch, im Treppenhaus
     roch es, als hätte man mit einer alten Jacke gefeudelt, ich legte den Mantel nicht ab, ich setzte mich auf das Sofa und zündete
     die rote Kerze an, ich hatte nur eine einzige rote Kerze, wahrscheinlich hatte eine Frau sie mir geschenkt, die Zugluft ließ
     die Flamme flackern.
    Als es an der Tür klingelte, fuhr ich aus dem Schlaf auf, die Kerze war bis zur Hälfte heruntergebrannt, ich blies sie aus
     und fuhr mir durchs Haar. Gabriel hatte sich tatsächlich für den besonderen Anlaß feingemacht, er freute sich, im Gegensatz
     zu mir kostete es ihn keine große Überwindung, fremde Frauen anzusprechen und eine Abfuhr zu bekommen. Ich sollte das schmutzige
     Geschirr im Ausguß waschen, dachte ich noch, und dann zog ich den Gürtelriemen durch die Schließe, rieb heftig mein Gesicht
     und folgte ihm, er hatte sich vorgenommen |165| , sich in Träume zu stürzen, unverbraucht, unverdrossen – wir fuhren durch ein verwüstetes Gebiet, die lange Schnellstraße
     wurde von halbverrotteten Häusern gesäumt, deren Ziegeldächer im Nachtblau flirrten, auf den Gehwegen umgekippte Einkaufswagen
     und verschmorte Plastikcontainer, die Alten, die hier wohnen bleiben mußten, nahmen sich in acht vor den sogenannten Pinkeldieben:
     Es klopften ein Mann und eine Frau an der Tür, sie hatte große Übung darin, alleinstehenden Rentnerinnen Vertrauen einzuflößen,
     er sah aus, als arbeitete er in einer staatlichen Behörde, und so kam es oft dazu, daß eine alte Frau die Türkette aushängte
     und das nette Ehepaar hereinließ. Er verwickelte die Rentnerin in ein Gespräch, sie fragte höflich und durfte die Toilette
     aufsuchen. In Wirklichkeit durchsuchte sie das Wohnzimmer und die Küche und steckte das Geld aus der Vorratsdose ein. Die
     Anwohner in diesem Viertel waren mürrisch, aber den falschen Menschen gegenüber leichtgläubig; Männer wie Gabriel jagte man
     davon, ihre Haarschnittverweigerung machte sie in den Augen der frisiersüchtigen Anwohner zu Terroristen. Tatsächlich sah
     dieses Viertel aus wie das wüste Hinterland einer Front, an der die Männer und Frauen geschworen hatten, sich totzuschuften
     für Bier und Kuchen und Urlaub alle zwei Jahre. Ich hatte gut reden, denn ich hatte das Nichts gemehrt und war zu viel Geld
     gekommen.
    Ich löste zwei Eintrittskarten, die beiden Türsteher ließen mich passieren, Gabriel mußte sich einer flüchtigen Leibesvisitation
     unterziehen, er ließ sich den Ärger nicht anmerken, er war es gewohnt, an den Schranken aufgehalten zu werden. Der Saal war
     voll und heiß, der Besitzer begrüßte mich mit einem festen Handschlag, sein Siegelring drückte schmerzhaft gegen meine Fingerknochen,
     und ich nahm mir vor, ihm bei der nächsten |166| Gelegenheit zu sagen, daß ich Bürgerliche nicht mochte, die vorgaben, einem Adelsgeschlecht anzugehören. Er hatte sich für
     ein Wappen entschieden, auf dem zwei Löwen eine Zypresse umstanden, und weil

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