Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
Vom Netzwerk:
gezogen, sie schrieben mit Filzmarkern Spott- und Spuckparolen auf den
     Teil der Fassade, der für sie zugänglich war, sie wollten sich nicht strecken, sie wollten im Vorbeigehen möglichst schnell
     irgendeinen Unsinn hinkritzeln. Die Hausfront war frisch mit Sandstrahler gereinigt worden, draußen die prächtige Fassade,
     hier drin Gabriel, der die Briefumschläge aufriß und nach einem Blick auf die Rechnungen die Wangen einsog, ich schaute weg
     und hinüber zu dem Kleidersupermarkt für Arme auf der anderen Straßenseite, die schöne Kassiererin mit dem Pferdeschwanz brach
     eine Rolle auf und ließ die Münzen ins Kassenfach fallen. Ich wußte zufällig, daß sie in einen Jungen vernarrt war, der sein
     Haar links scheitelte, mehr fiel mir zu ihm nicht ein, sie finanzierte ihm das Leben – ich traute ihm zu, daß er aus dummem
     Übermut Katzenschwänze abflämmte und sich deshalb für unschlagbar hielt.
    Gabriel griff zu einer Plastikdose, zu seiner pinkfarbenen Plastikdose, holte zwei kalte Teebeutel heraus und legte sie auf
     die dicken Augen, dann lehnte er den Rücken gegen die Säule, an der aus Zeitungen und Zeitschriften ausgerissene Katastrophenfotos
     klebten.
    Was machst du da? sagte ich.
    Ich wende mich, wie die Buddhisten sagen, meinem inwendigen Lehrer zu. Eine schöne Stille hatte sich gerade über mich gesenkt,
     doch dann hast du angefangen zu quatschen.
    Wie war sie so?
    Die Südländerin?
    Ja.
    Sie hatte die Angewohnheit, Kaugummis nicht auszuspucken, sondern herunterzuschlucken. Sie hat sich über den Taubendreck beschwert.
     Sie ging auf eine komische Weise, als ob sie Fuß vor Fuß setzte. Sie stellte |162| die Füße auf die Fußrasten ihres Mopeds, und ich dachte jedesmal: Mein Gott, ist das toll.
    Wie habt ihr euch kennengelernt?
    Gabriel drückte die kalten Teebeutel auf seine Augen, legte den Kopf in den Nacken und hielt sich dabei an der Tresenkante
     fest. Er blieb still.
    Ich fragte, wie ihr euch …
    Ja, ich hab’ dich gehört. Sie stand auf der Straße, ich habe sie in einer Menge erblickt, sonderbar, nicht wahr? Ich nahm
     nur Silhouetten wahr, die an mir vorbeihuschten, sagen wir einmal, mir ging’s an dem Nachmittag nicht gut, Schmerzstöße in
     meinem Kopf, und erst sah ich … genau … erst sah ich eine hochschwangere Akkordeonspielerin, sie hatte das Akkordeon um die
     Schulter geschnallt, und sie streckte den Leuten einen Plastikteller hin, klar, in ihrem Zustand kam sie nicht an die Tasten,
     ihre Bettelei machte Sinn, sie verschwand in der Menge, und da sah ich sie, und ich hatte auf einen Schlag sehr viel Gefühl
     in der Brust, sie strich sich das Lipgloss nach, und ich hielt den Atem an. Ich lud sie zum Essen ein, klar habe ich sie angesprochen,
     auf anglosüdländisch, sie schaute mich ernst an, und bald saßen wir in einem Restaurant, und der Kellner brachte uns Spaghetti
     auf braunem Pergament. Sie war aufgewühlt, weil sie aus der Zeitung erfahren hatte, daß ein Neunzehnjähriger mit einer Tasche
     voll Zementstaub nach einem Popsänger geworfen hatte, den sie anhimmelte, ich habe die Einzelheiten behalten, einige Fans
     wurden wegen Atembeschwerden behandelt, eine Frau bekam sogar einen Asthmaanfall, sie erzählte mir das alles, mir gefiel die
     Geschichte nicht wirklich, weil darin eben dieser blöde Popsänger vorkam, den sie abgöttisch verehrte, aber, nun ja, sie sprach
     zu mir, und das war die Hauptsache … Hat dir einmal eine Katze ins Gesicht geatmet?
    |163| Was? Nein, sagte ich.
    Mir schon einmal. Mir fehlten die Worte, als es mir geschah. Als wir, die Südländerin und ich, in diesem Lokal saßen, dachte
     ich, mir bläst eine Katze ihren Atem ins Gesicht.
    Das ist aber ein seltsamer Vergleich, sagte ich.
    Na und? Womit soll ich sie sonst vergleichen? Etwa mit einer Kohlmeise, die auf meinem Ohr wippt?
    In den Himmel über dem Supermarkt, in dem die pferdeschwänzige Schöne an der Kasse saß, hatte sich ein düsterer blauschmutziger
     Horizontstreifen gezeichnet, und ich fand an der Vorstellung Gefallen, daß ich hier in dieser vollgestellten Grotte Gabriels
     unerreichbar war, der Signalstärkebalken auf meinem Handydisplay war unten, es würde sich auch kein Mensch hierher verirren,
     um aus dem sonderbaren Sortiment Platten oder CDs herauszusuchen, ich sah hinab auf den von Brandlöchern zernarbten Linolboden,
     und in einem Spiegelsplitter neben dem Hockerbein sah ich einen Zipfel Schnürsenkel, die Sohle meines rechten Schuhs

Weitere Kostenlose Bücher