Liebesbrand
schon geschieht’s. Der Mann, über den sich alle Frauen des Viertels unterhielten,
hatte erst vorletztes Jahr seiner Frau spitzzulaufende hochhackige Schuhe zum Geburtstag geschenkt, ein unverzeihlicher Fehler,
und auch seine Frau hatte mit den Worten und den Tränen gekämpft, denn sie hielt es für Aberglauben, dieses Zeichen richtig
zu deuten: Schenkt der Mann seiner Frau Schuhe, so läuft sie ihm weg. Deshalb hatte sie ihm eine Münze gegeben, sie hatte
sich dadurch freigekauft von dem Unglück, und die Frauen des Viertels schworen auf das Brot und das Salz und auf den Heiland,
daß sie in diesen Schuhen herumgelaufen war, auch bei Regen, auch bei Schnee und Hagel, natürlich waren ihre Füßchen ungeschützt,
natürlich hatte sie immer wieder Fieber bekommen, und als nichts mehr half, brach ihre Treue zu dem Verdammten, und sie schenkte
ihr Herz einem jungen Schweizer Touristen, der mit seinem Backenbart einfach nur albern aussah, |193| aber er neigte eben wegen seiner jungen Jahre nicht zu Schwermut und nicht dazu, am Tisch zu sitzen, die Bissen zu zerkauen
und zu brüten. Sie verließ ihn, und eine Weile, genaugenommen ein paar Stunden lang, glaubten die Frauen des Viertels, der
Verdammte hätte sie weggeteufelt mit einem Bannspruch, doch sie rief bei ihren Freundinnen in der Nachbarschaft an, nicht
etwa, um Zweifel auszuräumen, aber um von ihrer wundervollen ersten Liebesnacht seit langem zu erzählen, der junge Schweizer
war kein Egoist wie ihr Mann, er konnte einen Eisblock durch seine Körperwärme zum Schmelzen bringen.
Der Verdammte hatte dunkle entstellte Hände, die Haut war verknotet und verschuppt wie der Guß von Kirmesmandeln, und er hatte
eine alte und eine junge Gesichtshälfte, Schatten und Licht verteilten sich in gleichen Teilen, er war am liebsten verhüllt
– das alles waren Lügen der Frauen, die ihn zum Gesetzlosen erklärten, weil er öfter als zugelassen verdutzt war. Er erstarrte
beispielsweise beim Anblick eines Kinderfäustlings, den man über einen Zaunpfahl gestülpt hatte. Dann sah man, dann sah eine
Frau in der Nähe, wie er still eins zum anderen zählte, er bewegte stumm die Lippen, er erkannte irgendeine geheime Wegweisung,
und dann ging er in ausgreifenden Schritten davon. Und schon entstand wieder ein neues Gerücht von einem Vorkommnis, das er
erwirkte, seine Frau hatte neulich wieder bei den Freundinnen angerufen und ihnen mitgeteilt, daß ihr Liebhaber keine Nieren
essen durfte, weil er an Gicht litt und in der Grillniere Harnsäure enthalten war, der Liebhaber hatte sie mit dieser Erklärung
völlig überrascht, und ihr erster Gedanke war gewesen, daß der Verdammte bösen bösen Zauber trieb. Ein Mann, der sich nicht
kämmte und die verklebten Wimpern morgens nach dem Aufstehen nicht ausstrich, |194| durfte nicht auf das Verständnis der Nachbarn setzen. Ein Mann, der aussah, als hätte er ausgiebig in einer Dunggrube gebadet,
ein Mann, dessen Ehefrau Haus und Heimatstadt verließ und der vielleicht deswegen zum wandelnden Leichnam verkam, durfte nicht
hoffen, als vollwertiger Tscheche zu gelten. Denn trotz der vielen wohlhabenden Fremden wurde in dieser Stadt der Heiland
angerufen, daß er die Dinge in Ordnung brachte und daß er den Verdammten zum sittenstrengen Verhalten zurückführte. Die Frauen
sprachen ihm ein säuisches Wesen zu, sie rechneten immer damit, daß durch seine Taten eine offene Fehde gegen ihre Ordnung
ausbrach.
Ihn gingen die bösen Gerüchte nichts an, er ließ den Teig aushärten, das war ihm wichtig. Er hatte ein Gespür für das Unheil,
vielleicht auch nicht, er wollte sich gerne eine Leidenschaft einreden lassen, so wie die heilige Luitgard, eine blinde Ordensfrau,
die um so heller Traumbilder sah, und in einem Traumbild hatte sich der Erlöser am Kreuz halb vom Holz gelöst, sich der zu
seinen Füßen Stehenden zugewandt, und sie hatte seine Wunden küssen dürfen, sie hatte sein Blut schmecken dürfen. Dieses Bild
hatte ein Steinmetz eingefangen, die Statue der verzückt Küssenden stand als Pfeilerheilige der Karlsbrücke in der Nähe der
Kleinseitner Brückentürme, und jeden Tag stand der Verdammte vor dem Stein der Verzückten, schloß nicht die Augen, wie es
manch ein neumodischer Pilger aus Amerika tat, sondern starrte auf das Gesicht der heiligen Luitgard. War es eine Sünde, darin
die Gesichtszüge seiner entlaufenen Frau zu sehen, ja, er nannte seine Ehefrau die
Weitere Kostenlose Bücher