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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Es war ihr anzumerken, wie sehr es ihr zusetzte, einem bürgerlichen Fremden die Details der Unzucht und der neuen Ordnung
     erklären zu müssen, dabei war ich doch nur verwirrt, mich quälte unsinnigerweise die Frage, ob sie eine Deutsche oder eine
     Tschechin war, mich quälte der Durst, und ich zermarterte mir den Kopf darüber, ob mein Aufenthalt in Prag sich lohnen würde,
     ja, ich dachte wie ein ehemaliger Börsensöldner, ja, mich gingen das Alte und das Neue nichts an, wichtig war nur … wichtig
     war der Lohn. Die Verrückte stand auf, knöpfte sich den Mantel zu, griff vorsichtig nach dem Tischstaubsauger, und als sie
     unseren Tisch erreichte, wandte sie sich plötzlich zu mir, sprach einige Worte und warf mir aus nächster Nähe den Staubsauger
     ins Gesicht, ich spürte einen stechenden Schmerz über den Augen, ich deckte sie mit den Händen ab und legte mich auf der Bank
     auf die Seite, und als ich kurz danach auf meine Hände sah, entdeckte ich Blut, es zerlief in meiner Braue und rann in mein
     rechtes Auge, ich erhob mich, hielt mich an der Tischkante fest, lief in Richtung der Toilette, ich achtete nicht auf die
     Rufe hinter meinem Rücken, ich schüttelte den Kopf, als der Kellner mich stützen wollte, ich schob die Tür mit der Schulter
     auf, sah in den Spiegel, mein Blick war verschliert, also spritzte ich mir immer wieder kaltes Wasser ins Gesicht, immer wieder
     kaltes Wasser, bis ich schauderte, und dann besah ich mein Gesicht im Spiegel, die Haut war an drei Stellen über den Augenbrauen
     aufgeplatzt, und während ich stand und starrte, lief das Blut über die Nase und tropfte auf das Waschbecken und spritzte auf
     das ganze Porzellan. Die Tür ging auf, und die Tschechin kam herein und stellte sich hinter mich, unsere Blicke kreuzten sich
     im Spiegel.
    Es tut mir sehr leid, sagte sie, wirklich, du mußt es |191| mir glauben. Eben wegen solcher Sachen verbürge ich mich nicht für diese Menschen.
    Was hat sie gesagt, vorhin, bevor sie mich attackiert hat?
    Sie hat gesagt, daß sie als Jungfrau zur Welt gekommen ist und als Jungfrau sterben wird.
    Dann soll sie das eben tun, verdammt noch mal.
    Wir müssen dich zu einem Arzt bringen.
    Nein, sagte ich, das ist mir nicht recht.
    Die Wunden müssen genäht werden, sagte sie und zog an der Rolle im Papierhandtuchspender, sie riß einen langen Streifen ab,
     faltete ihn mehrmals an den perforierten Stellen, hielt ihn kurz unter den Wasserhahn und drückte ihn mir von hinten auf die
     Stirn. Ich schloß die Augen, wir regten uns nicht, jetzt quälte mich der Schmerz.
    Hältst du es aus?
    Ja, sagte ich, ja.
    Wir werden jetzt diesen Ort verlassen, sagte sie, die verrückte Frau ist weg, die Trinker haben sie beschimpft, sie hat schließlich
     einen Fotografen vergrault.
    Ich habe doch keinen Fotoapparat, sagte ich und ließ mich von ihr nach draußen führen, ich preßte das nasse Papier auf die
     Wunden und wischte mir über das sickernde Blut im Gesicht, die Männer riefen mir etwas zu, es hörte sich an, als wollten sie
     mich anspornen, und als ich auf halbem Wege zu meiner Geldbörse griff, schob der Kellner meine Hand weg, ich sagte: danke,
     und er sagte: bitte sehr, er sang diese beiden deutschen Worte mehr, als daß er sie sprach, und ich schritt unsicher ins Freie,
     und wieder schoß mir der Gedanke durch den Kopf, daß die Zeit der Verschonung vorbei war, nicht erst in Prag hatte meine neue
     Zeit angefangen, in Prag ging es nur weiter, und es würde in anderen Städten weiterdauern.
    |192| Er knetete den Teig, bis er Ohrläppchenhärte hatte, zu keiner beliebigen Tageszeit, sondern immer dann, wenn er vergaß, was
     ihn umtrieb, und das geschah selten, und er lachte über die ihm von der Seite gezischten Verdammniswünsche, er sollte untergehen,
     so bald wie möglich, er sollte sich das Messer, mit dem man den Speck in Scheiben schnitt, in den Scheitel stecken und verrecken,
     in seinem verschmutzten Haus weit weg vom schönen Fluß, den er durch seine Teufelei nicht würde zum Stocken bringen. Wenn’s
     dem Irren zu wohl wird, spuckt er in den Teig und pustet hinein und erwirkt die Auferstehung, sagten die Frauen, die sonst
     auf dem Markt und beim Krämer nicht so leichtgläubig waren, wenn’s dem Irren zu wohl wird, bringt er die Tassen zum Hüpfen,
     und die Schlüssel drehen sich von allein im Schloß, und die Dachziegel werden lose, und die Schuhabsätze fallen ab, da braucht
     dieser Verdammte nur daran zu denken, und

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