Liebesbrand
…
Der Mann, den sie nicht mehr so oft wie früher den Verdammten nannten, war also der gelegentliche Liebhaber meiner Übersetzerin,
ich hatte ihn wegen des Nietengürtels für einen Ausländer gehalten, er war ein komischer Prager mit leicht verbrannten Händen,
die er sich auch im Sitzen in die Hosentaschen steckte, und er hatte für kurze Zeit sein Glück als Pflastermaler versucht,
es aber wegen der unvermeidlichen Platzverweise aufgegeben. Was konnte ich glauben und was nicht?
Es rankten sich viele Legenden und Schauergeschichten um die Statuen auf den Pfeilern der Karlsbrücke – ich hatte mich vor
einigen Stunden von der Tschechin verabschiedet, ich wollte ohne ein festes Ziel vor Augen herumgehen, und doch war ich schließlich
am Altstädter Brückenturm gelandet und hatte mich einer Gruppe von englischen Bildungstouristen angeschlossen. Die Fremdenführerin,
eine schöne und an den Oberarmen schwarz beflaumte Frau, zeigte auf die sogenannte Kalvariengruppe, links die Jungfrau Maria,
rechts der Apostel Johannes und am Kreuz der Erlöser, von einem Ende des Querbalkens zum anderen zog sich im Halbkreis eine
Girlande aus goldenen hebräischen Lettern. Diese Inschrift, sprach sie, hat ein Prager Jude aus eigener Tasche anfertigen
lassen müssen, sie ist ein Zeichen der Scham und der Schande und der verordneten Buße, |198| denn der Jude hat es damals – wir befinden uns im siebzehnten Jahrhundert – an Ehrerbietung gegenüber dem Heiland mangeln
lassen … Ich wunderte mich über die bemühten Worte der Frau, ich sah in die angespannten Gesichter der alten Herren und Damen,
die ihre Fotoapparate um den Hals gehängt hatten, aber nicht wie sonst Fotos schießen wollten, sie schauten hoch zum Gekreuzigten,
ein Mann bewegte die Lippen, ich nahm an, daß er die Geschichte kannte und ein Gebet sprach. Der besagte Jude also, fuhr die
Frau fort, hat beim Vorbeigehen nicht wie üblich den Kopf geneigt, um dem Erlöser Respekt zu erweisen, er hat sogar wider
ihn gelästert, und der Frevel durfte nicht ungesühnt bleiben: Der Jude wurde dazu angehalten, seine Sühne in Worte zu gießen.
Der Schriftzug, den Sie dort oben sehen, bedeutet: ›Heilig, heilig, heilig, der Gott der Scharen‹… Ich löste mich von der
Pilgergruppe, der Wind hatte aufgefrischt, und die Brücke war eine Schneise, ich fror in meiner dünnen Sommerjacke, und als
ich den Blick schweifen ließ, sah ich den ›Verdammten‹, er stand an der Ufermauer im Schatten des Pulverturms und spähte in
meine Richtung, die Tschechin hatte mich mit der Geschichte über seinen Geschäftssinn überrascht, ich hatte in ihm nur einen
mäßig talentierten Alkoholiker gesehen. Er hieß Jaroslav, natürlich, dachte ich, diese Stadt wimmelte nur so von Jaroslavs
und Vaclavs, und als er mich fragte, ob ich schon angefangen hatte, mich zu Tode zu langweilen in Prag, dem großen Freiluftmuseum,
gab ich vor, nicht zu verstehen, was er meinte. Er streckte daraufhin den Zeigefinger und wies auf die Frau mit den behaarten
Oberarmen. Früher war sie eine von vielen, sagte er, na ja, sie hatte mal einen Freund, mal nicht, sie hat den Sohn eines
Bonzen geheiratet und sich wieder scheiden lassen. Und dann muß irgend etwas passiert sein, ich habe lange versucht, dahinterzukommen |199| , aber vergeblich. Plötzlich gab es einen Bruch in ihrem Leben, und sie wandelte sich zu einer frommen Magdalene, und jetzt
verdient sie viel Geld damit, dumme Briten und Amerikaner zu den Stätten zu führen, von denen sie behauptet, daß der Heilige
Geist dort gewirkt hat.
Jeder hat sein Leben, sagte ich einfältig.
Wie recht du hast, sagte er, du meinst wohl, das ist eine tschechische Angelegenheit, und du willst dich nicht einmischen.
Ich kenne mich nicht aus.
Missionare, Adlige, Ordensherren und ein paar zugeordnete Frauen, rief er aus, man hat sie zu Heiligen erklärt und sie in
Stein gehauen und ausgestellt. Wir Tschechen sind keine großen Gaffer. Wir halten uns heraus und begaffen die Gaffer, die
aus anderen Ländern herkommen.
Es gibt hier viel zu sehen, sagte ich.
Wie recht du hast, wiederholte er, wen oder was willst du sehen?
Jedenfalls keine Denkmäler.
Der Böhmische Untergang geht folgendermaßen, sagte er, stell dir vor, du bist ein Zwerg und mußt ständig darauf aufpassen,
daß dich die Großwüchsigen nicht aus Versehen zerquetschen. Dann merkst du, es gibt kein Versehen, sie, die Riesen, machen
es mit
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