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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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der über die Wachstuchdecke wischte und roch, als würde er jede Nacht seine Kleider einmotten, und
     er schaute auf das wundepilierte Kinn der Frau, die man hier drin den Wirtshausengel nannte. Über ihr hing ein Gratiskalender
     an der Wand, und sie streichelte einen kaputten Tischstaubsauger neben sich auf der Bank, in den, wie die Tschechin mir erklärte,
     die Seele ihres vor Jahren verstorbenen Dackels hineingefahren war, und tatsächlich hing vom kurzen Plastikrüssel des Saugers
     eine samtene rote Leine herab, in die Schlaufe am Boden hatte der Engel mit den verklebten Wimpern die Schuhspitze gesteckt.
     Sie nennt ihren Hund, von dem wir alle wissen, daß er kein Hund ist, Zirkuszuckerzasterzottel, sagte die Tschechin, die Engelin
     muß sich die Wartezeit vertreiben, worauf sie wartet, wissen wir alle nicht, eine Frau muß mindestens ein Geheimnis für sich
     behalten, eine Engelin aber zwei … Eine Engelin, dachte ich, schönes falsches Wort, eine Engelin ist ein |188| überirdisches Wesen, und vielleicht beherrscht diese wunderliche Frau irgendeine Magie, kraft derer sie den Teer Dutzender
     Zigaretten am Tag überlebt.
    Nach Meinung der Tschechin entsprang das Wissen der Bieralkoholiker einer trüben Quelle, wenn es vor ihren Augen funkelte
     und flirrte, erstarrten sie und rechneten jeden Augenblick damit, daß die Erde sich auftat, und selbst dann würden sie auf
     der Kante der Spalte sitzen und ihre Beine baumeln lassen. Es packte die Tschechin eine Wut, daß sie einen irren Blick bekam,
     sie saß in einem dunklen Wirtshaus, und wir waren auf einen Vorschlag von mir hergekommen, die Schreie, die Gesänge, die glimmenden
     Männeraugen machten sie zornig, auf jede Frage, die ich stellte, ließ sie eine Pause voller Groll folgen, um mit gepreßter
     Stimme festzustellen, daß wir es hier nicht mit Helden des Volkes zu tun hatten, und sie verstünde nicht, wie denn ›würdelose‹
     Poeten in den Gedichten diese saufenden Ultrapatrioten in ein mildes Licht tauchen konnten. Diese Menschen, sagte sie, ich
     kenne sie, sie schuppen am Steiß.
    Was?
    Bist du glücklich unter diesen Leuten?
    Nun, setzte ich an, sie stören mich nicht, und …
    Ja, wie weiter? sagte sie.
    Sie sind unbürgerlich.
    Und du bist bürgerlich, stellte sie fest.
    Durch und durch, sagte ich.
    Und das Gegenteil von dir ist gut?
    Schau’ sie dir doch an, sagte ich, sie tragen Streifenhemden wie Geschäftsmänner, sie haben die Ärmel hochgekrempelt, und
     ihre Jacketts haben sie, wie es sich gehört, über dicke Haken gehängt.
    Wie es sich gehört, wiederholte sie.
    Also sind sie nicht unbedingt das Gegenteil von mir, sie sind mir sogar sehr ähnlich.
    |189| Daraufhin verstummte die Tschechin, und jedesmal wenn die Eingangstür in den Angeln quietschte, schaute sie auf und blickte
     schnell weg, um dem eingetroffenen Mann keinen Anlaß zu bieten, mit ihr grob flirten zu wollen. Ein Volk, das aus einer Wurzel
     gewachsen war, sah anders aus – sie hatte es auf dem Herweg behauptet, komplett verkommen, hatte sie ausgerufen, komplett
     gelöscht das Feuer, da ist kein Liebesbrand mehr, wer liebt, kommt um, alle Hochzeiten, alle Lieben, aller Patriotismus bloß
     noch berechnet und bilanziert, wie kann man sich nur gemein machen mit den Tölpeln aus dem Westen; ihr seid, wie ihr seid,
     und deshalb sind wir nicht, wie wir waren, und wir streuen Pfeffer in die Kerzenflamme und flüstern neue Gebete, es ist so
     lange her, daß ich mich gefragt habe, ob ich ins Paradies komme. Diese Säufer sind dir ähnlicher, als du glaubst, das stimmt
     …
    Wir waren also zum Du übergegangen. Der Kellner hielt eine große Dose Schlechtlufteliminator hoch, schüttelte sie und drückte
     auf den Sprühknopf, im Nu roch es süßlich nach Frucht, ich versuchte, durch den Mund zu atmen, und als nichts half, trank
     ich das Glas Wasser leer, für das ich soviel bezahlen mußte wie für zwei Gläser Bier.
    Ich kann mich nicht für diese Menschen verbürgen, sagte sie leise.
    Ich versuche, es zu verstehen, sagte ich.
    Diese verrückte Frau hat kein Unglück erlebt, sagte sie, es ist ihr nichts geschehen, was rechtfertigt, daß sie eine kleine
     kaputte Maschine streichelt. Auch die anderen, diese lauten Tschechen, haben den Bruch ohne Schaden überlebt. Das Alte verging,
     es verging wie ein Leben. Sie saufen, als müßten sie einen schlimmen Kummer vergessen. Sie tun es für die Fremden.
    Wieso? sagte ich.
    Sie wittern die Fotografen, sagte sie.
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