Liebesbrand
Absicht. Sie stoßen dich, sie rempeln dich an, und du bist dein ganzes Leben damit beschäftigt, dich bloß nicht ihnen
in den Weg zu stellen. Kann das gutgehen? Nein. Ein Zwerg wird immer zerquetscht. Fazit meiner Geschichte: Man steckt die
Schläge ein, und dann überlegt man, wie man die Hand bricht, die einen schlägt.
Verstehe ich nicht, sagte ich.
Dann eben nicht, stellte er fest.
War die Begegnung mit Jaroslav, dem Neppverkäufer |200| , Zufall? Was konnte ich glauben, und was würde sich als Lüge herausstellen? Heute steckte der Verdammte in einem blauen Cordanzug,
und er hatte sogar ein weißes kleines Frotteetuch in seine Brusttasche gesteckt, vielleicht lag es an dem Nieselregen, daß
er an diesem Tag keine Teigtotenmasken verkaufte.
Du hast doch bestimmt schon Lendenbraten mit Knödeln gegessen, sagte er.
Hab’ ich, ja.
Und haben sie dir geschmeckt?
Alles gut, sagte ich, bis auf die schwere Soße.
Wie recht du hast, sagte er, weißt du, ich trage mich mit dem Gedanken, meine Geschäfte etwas auszuweiten. Die heilige Luitgard
in allen Ehren, aber sie geht mir langsam auf die Nerven. Ein anderes Gesicht muß her.
Es gibt hier sehr viele Heilige und Selige, sagte ich.
Der Schmerz und die Entzückung entstellen die Gesichtszüge … Nein, mir schwebt etwas anderes vor. Siehst du das Kopfrelief
da unten?
Ich beugte mich über die Mauer und schaute nach unten, ich entdeckte einen steinernen Buckel, der sich vorwölbte wie ein Soldatenhelm,
plötzlich fühlte ich Jaroslavs Hand auf meiner Schulter und riß mich vor Schreck los.
Wer wird denn gleich ruppig werden, sagte er lachend, ich wollte nur nicht, daß du ins Wasser fällst.
Ich habe mich festgehalten.
Trotzdem. Nun gut. Man nennt ihn den Bärtigen, sein Gesicht ist mit der Zeit abgeschliffen, jetzt sieht er aus wie ein Hunne.
Früher diente er als Wasserstandsmesser – wenn der Wasserspiegel seinen Spitzbart erreichte, wußte man, daß man bald absäuft.
Hat aber trotzdem nichts geholfen.
Du willst das Gesicht in Teig kneten, stellte ich fest.
|201| Richtig.
Er holte aus seiner Jackeninnentasche einen Prospekt, auf dem ›der Bärtige‹ abgebildet war, tatsächlich sah er aus wie ein
Schrumpfkopf, an der Stelle der Nase klaffte ein Loch, und ich war mir nicht sicher, ob sich die Touristen am Anblick dieser
grimmigen Fratze erfreuen würden. Du bist von ihm nicht angetan, sagte Jaroslav, ich weiß, er ist keine Schönheit, aber ich
glaube, wenn ich ihn richtig einführe, wird man ihn schon liebgewinnen. Ich muß gehen. Eine schöne Besichtigung noch.
Ich lehnte mich an die Kaimauer, mit dem Rücken zum rauschenden Wasser der Moldau, der Menschentroß bewegte sich in beide
Richtungen, die Frauen trugen teure Sonnenbrillen, obwohl am Himmel keine Sonne stand, die blenden konnte, ich war müde vom
Laufen, ich hatte Hunger und traute mich endlich, die Stadtkarte hervorzuholen, ich ging über die Brücke auf die Kleinseite,
verirrte mich in den Straßen und stand vor der Kirche St. Maria die Siegreiche, es herrschte auf den Treppen ein großer Andrang,
die Fremden wollten hinein und ›jezulatko‹, das Jesulein, sehen, jene Wachspuppe, die das Jesuskind darstellen sollte. Man
kleidete sie in teure, mit Diamanten und Perlen bestückte Gewänder und stellte sie in einem pompösen Altar aus, in den Katakomben
aber konnte man, wenn man einen gesunden Magen hatte, die Mumienleichen der Karmelitermönche ansehen. Im Schaufenster des
Andenkenladens gegenüber der Kirche standen auf langen Holzstangen Hunderte von Kleinjesulein mit gestickter Halskrause, dem
Reichsapfel in der linken Hand und einem Plastikkrönchen, das doppelt so groß war wie der Kopf. Ein Blick auf die Stadtkarte
überzeugte mich davon, daß ich mich auf der Karmeliterstraße befand, und nach ein paar Schritten stand ich vor der Kavarna
Karmelitska, ich trat ein und steuerte gleich den ersten |202| freien Tisch an. Der Kellner lächelte über meine Bestellung, und wenig später brachte er auf einem Frühstücksteller einen
süßen Erdnußtaler und ein Gebäck, das wie eine Filmdose aussah, gleich bei dem ersten Biß tropfte die Karamelfüllung auf die
Tischdecke.
Wie ich sehe, kannst du dich nicht immer richtig benehmen, sagte die Tschechin und setzte sich hin, sie schob den Aschenbecher
und den Zuckerstreuer beiseite und faltete die Kuchenkarte auseinander.
Hier sieht es aus wie früher im Ostblock, sagte ich.
Woher
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