Liebesbrand
willst gerade du das wissen? sagte sie. Ihr Lächeln war verstrichen, und sie schaute mich böse an.
Entschuldige. Es war nur ein Witz.
Witze werden nicht gemacht, nicht solche, sagte sie. Ich starrte auf den Karamelcremeklecks und wischte ihn mit der Papierserviette
weg, es war ein Friedensangebot, das sie annahm.
Wieso hast du nicht die Liwanzen genommen? sagte sie.
Die was?
Das sind pummelige Pfannkuchen. Hier gibt es sie mit Heidelbeersoße.
Ich habe sie im Kuchentresen gesehen, sagte ich, ich habe mich gewundert, daß man sie mit Parmesanraspeln bestreut.
Sie lachte los, verschluckte sich und mußte husten, ich reichte ihr eine Serviette aus dem Blechspender und wartete ab, bis
sie sich beruhigt hatte.
Man bestreut die Liwanzen mit trockenem Quark, sagte sie, und das kleine Ding mit Füllung heißt übersetzt Pränkchen … Pränkchen
wie Pranke.
Ja, sagte ich.
Dann gibt es noch Palatschinken, Dalken und Dukatenbuchteln.
|203| Ja, sagte ich.
Die Striezeln und Powidltascherl nicht zu vergessen. Darf ich das Thema wechseln und dich etwas fragen? sagte ich.
Ich bin frei, zu antworten oder nicht? sagte sie.
Natürlich … Dein Freund … dein gelegentlicher Liebhaber, ich habe ihn vorhin getroffen, er ist mir etwas unheimlich.
War das die Frage? Ja, er ist unheimlich, und das ist meine Antwort.
Langsam dunkelte es draußen, der Strom der neugierigen Fremden riß aber nicht ab, und sie hofften, so wie ich hoffte, daß
sie auf das Wunderschöne und Unüberwindbare stießen, das alle Mühen wettmachte, die Tschechin klappte ein Näpfchen auf, tupfte
mit ihrer Fingerkuppe hinein und strich das Balsam auf ihre Lippen, ich wollte ihr eigentlich davon erzählen, daß der Verdammte
aus dem Gesicht eines Steingötzen Kapital schlagen würde, und ich wollte sie vor den Konsequenzen warnen, die seine neue Geschäftsidee
mit sich brachte: Die Polizei würde den Mann fortscheuchen, weil er die Touristen erschreckte, und sie müßte ihn dann trösten.
Aber was ging es mich an? Die Tschechin hatte recht – ich würde in meine Stadt zurückkehren, und sie würde in ihrer Stadt
weiterleben.
Ich hatte sie nach der tschechischen Seele gefragt und war auf Unverständnis gestoßen, was sollte das sein? hatte sie ausgerufen,
ihr Deutschen seid derart versessen darauf, einen Kern, ein Wesen, eine innere Macht zu vermuten, ihr werdet mißtrauisch,
wenn ein anderes Volk einfach genug hat von der Geschichte, auf die sich alle Besatzer berufen, wir Tschechen haben uns oft
geschlagen, meist erfolglos, und wir haben es aufgegeben, sofort und heftig aufzubegehren, wir warten ab, und vielleicht deshalb
gelten wir als reservierte Menschen. |204| Es war seltsam, diese Worte aus dem Munde einer Tschechin zu hören, hätte man mich nach dem Wesen der Deutschen gefragt, hätte
ich mich ähnlich unwirsch gezeigt. Doch mein langjähriges Geschäft mit dem Geld zwang mich heute manchmal dazu, eine hintergründige
Absicht zu vermuten. Ich sah die Tschechin zum ersten Mal lange an. Ihre Schönheit war unbestreitbar. Der Schimmer ihrer Augen
konnte sich trüben, wenn sie nicht wollte, daß man sie als Melancholikerin enttarnte. Ihre Augen konnten mit Glanz besprenkelt
sein, und wer darin den Blick einer vorsichtig glücklichen Frau erkannte, sollte lieber seine schmeichelnden Worte für später
aufsparen.
Träumst du? sagte sie.
Wie heißt du?
Jarmila.
Hat der Name eine besondere Bedeutung?
Gewöhn’ es dir ab, sagte sie, gewöhn’ es dir bitte ab. Jarmila heißt Jarmila. In diesem Namen steckt keine innere Macht …
Du bezahlst mich für die Stadtführung. Auf welche Plätze soll ich dich führen?
Ich habe keine Lust auf viele Menschen, sagte ich.
Ich folgte ihr durch die Gassen, ich verlor die Orientierung, und auch wenn sie mir, dem laufmüden Fremden, Anekdoten aus
der Stadtgeschichte erzählte, war es so, als würde ich abdriften, ein Bild nach dem anderen verblaßte, ein Bild leuchtete
auf und erlosch, hier ein Kloster, das von übermannshohen Zaunlatten umsäumt war, und ein Schild ermahnte die Eintretenden,
darauf zu achten, nicht auf die Schwelle zu treten; dort eine Kirche, in der ein Wundertätiger aus dem Mittelalter angebetet
wurde, die Gläubigen hielten es für einen Skandal, daß nicht Einheimische, aber zugewanderte Bettler vor den Gotteshäusern
saßen, es war ein Skandal, daß sie sich niederknieten, die Hände zu |205| einer Schale formten und auf eine
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