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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Gnadenmünze hofften, von den Gottesfürchtigen. Mein Blick ging zum Wasser, wir befanden
     uns auf dem linken Moldauufer, und ich machte ein Spiel daraus, nach jedem zehnten Schritt zum Fluß hinüber- und zum Himmel
     heraufzuschauen, und dann blieb Jarmila stehen, wir waren auf der Insel Kampa, die der Teufelsbach von der Kleinseite abschnitt,
     sie wurde zu beiden Seiten von Wasser umflossen und erstreckte sich zwischen der Legienbrücke und der Manesbrücke, auf der
     Stadtkarte sah sie aus wie zwei miteinander verwachsene Bohnen. Ein Sandweg führte uns an einer Parkwiese entlang, auf der
     Obdachlose schliefen, der leichte Regen konnte ihnen nichts anhaben. Der Wind ließ die Absperrplastikbänder, die zwischen
     rostigen Eisenspießen um eine Baugrube gespannt waren, laut flappen, es hörte sich an wie ein aufgescheuchter Taubenschwarm.
     Dann wechselten wir über auf die Kleinseite, umgingen in einem großen Bogen die belebten Straßen, schritten über die Manesbrücke,
     auf der Karlsbrücke zur Rechten sah ich die Heiligen aufragen, und wenig später standen wir auf dem Jan-Palach-Platz, und
     ich versuchte, mir meine Beklemmung nicht anmerken zu lassen, vielleicht dachte Jarmila, ich wäre ergriffen im Gedenken an
     jenen Studenten, der sich mit Benzin übergossen und verbrannt hatte, nicht hier, aber auf dem Wenzelsplatz, ich dachte aber
     in diesem Augenblick nur an jene Frau, um derentwillen ich nach Prag gekommen war, dort, in dem Gebäude der Philosophischen
     Fakultät, schrieb sie an ihrer Arbeit, ich hatte noch einmal in Göttingen angerufen, und nach langem Bitten der Sekretärin
     diese Mitteilung entlockt, ich mache Ihnen diese Mitteilung, hatte sie streng gerufen, doch wehe, Sie verraten, daß ich die
     undichte Stelle bin, dann ist aber der Ofen aus … Hier also, dachte ich, hier bist du.
    |206| Es regnet, sagte Jarmila, wir werden naß. Wir sollten weiterziehen.
    Ja, sagte ich.
    Bald wird das Wetter besser werden.
    Wollen wir uns für heute verabschieden? Wenn du mich entlassen willst, sagte sie.
    Es geht um dich, sagte ich, ich will nicht, daß du aus Zwang mich begleitest.
    Du beutest mich nicht aus, sagte sie, doch du bist in Gedanken. Ist es eine Frau?
    Nein, wirklich nicht.
    Also ist es doch eine Frau, stellte sie fest, interessierst du dich sehr für sie?
    Sie ist mir nichts schuldig, sagte ich.
    Das trifft auch auf mich und meinen Liebhaber zu, sagte sie, was würdest du über einen Mann denken, der Oliven ißt und die
     Kerne in der Backentasche behält? Er tut das, er bestellt im Restaurant eine Schale schwarzer Oliven und saugt lange an den
     Kernen, so lange, bis ich ihn auffordere, sie auszuspucken. Ich kann mich nämlich auf nichts mehr konzentrieren, nur auf diese
     dicke linke Wange. Ich bin ihm nichts schuldig, jeder Mann hat Gewohnheiten, die eine Frau nicht liebt, aber sie lernt sie
     mit der Zeit zu übersehen. Ich kann diese Wange nicht übersehen. Ich gab mir große Mühe, nun reicht es, immer im Herbst dreht
     er durch, er wird richtig verrückt, und wenn ich ihn ermahne, sagt er, daß er die Toten in Prag haßt. Daß ihn die Toten dazu
     treiben. Wie einfallslos! Wie widerwärtig! Kann das sein? Nein. Kein Toter meldet sich zurück, er ist für immer abberufen
     worden. Ich denke schon, daß ein Mann keine Gespenster sehen darf. Er kann dieses Märchen den Fremden erzählen, er bringt
     sich mit diesem Totenmärchen in eine schlechtere Position. Ein kleines Geheimnis steht jedem netten Mann gut an. Doch große
     Geheimnisse |207| stören die Ruhe der Frauen. Das ist so. Ich kann den Schaden nicht abwenden, wenn er will, dann will er. Wahrscheinlich hat
     er dir erzählt, daß er den Bärtigen abbilden will. Das kann man machen. Doch es geht ihm um das, was ihm seine dunkle Phantasie
     diktiert. Sie befiehlt ihm, so sagt er, von unappetitlichen Dingen zu träumen.
    Er träumt nicht etwa schlecht, er zwingt sich zu Trugbildern vor dem Einschlafen. Dann bekommt er ein verschleiertes Gesicht,
     und ich muß ihm dabei zusehen, ich kann den Blick nicht abwenden. Es ist eine Art Hypnose. Ich bin hypnotisiert, und dann
     hasse ich ihn, weil er mich hassen macht. Ein Mann, der Kunst verkauft, muß auf Abwege kommen. Ich verstehe das, ich verstehe
     bloß nicht, wieso er vor mir, einer Schauspielerin, in eine Rolle schlüpft. Er müßte doch wissen, daß ich keine Lust verspüre,
     für eine Aufführung zu bezahlen. Bestimmt trage ich die Hauptschuld. Ich könnte ja sagen:

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