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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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meine Frau eine Affäre. Mit jemandem, den ich kannte. Ich wollte sie töten, und ihn auch. Aber eines Tages kam der Mann zu mir und lag mir weinend in den Armen. Ich weinte auch. Danach ging er wieder, und meine Frau tat mir leid. Manchmal wollte ich sie fragen, warum. Was sie in ihm gesehen hatte, was ich nicht auch besaß. Aber jedes Mal dachte ich dann, dass es grausam wäre, sie das zu fragen. Ihre Gefühle gehörten ihr allein. Sie hatten nichts mit mir zu tun.«
    Schweigend hörte ich ihm zu. »Finden Sie, dass ich grausam zu Marisa bin?«, fragte ich ihn.
    Er zuckte mit den Schultern. »Auch das geht mich nichts an. Der Mensch, zu dem Sie grausam sind, bin ich.«
    Â»Das tut mir leid«, sagte ich.
    Â»Es ist nicht einfach für mich. Ich bin in Trauer. Ich werde den Rest meines Lebens trauern. Sie haben eine Frau. Warum Sie ihr gestatten oder sie ermuntern, Ihnen das anzutun, verstehe ich nicht. Das ist Ihre Sache. Aber wenn sie morgen sterben sollte, wird es Ihnen leidtun, was Sie getan haben. Ich jedenfalls kann Ihnen nicht mehr weiterhelfen. Ich will diese sexuellen Gefühle nicht haben. Für Sie sind sie ein Luxus. Den kann ich mir nicht leisten.«
    Â»Es tut mir leid«, sagte ich noch mal. »Ich werde Ihnen keine Fragen mehr stellen.«
    *
    Es folgte eine prekäre Phase für mich. Der Möglichkeit, Fragen zu stellen, beraubt, wurde ich unruhig. Wenn man keine Fragen stellt, bekommt man keine Antworten; welchen Sinn sollte die Geschichte mit Marius und Marisa haben – welchen Sinn für mich –, wenn meine Vermutungen unbestätigt blieben?
    Ich wusste zu vieles nicht. Zum Beispiel, um mit dem Wesentlichen anzufangen: Hatten sie, oder hatten sie nicht? Jedes andere Paar, das so viel Zeit miteinander verbracht hatte wie die beiden, hätte einem bei der Frage lasziv ins Gesicht gelacht. Doch Marius und Marisa hatten schon eine Ewigkeit gebraucht, um überhaupt so weit zu kommen. Auf ihre Art waren sie genauso süchtig nach Spannung wie ich. Und mindestens einer von ihnen war ein geborener Bremser. Also gut möglich, dass sie noch nicht … dass sie sich schonten, dass sie es sich noch aufhoben. Damit es sich, wenn es so weit war, wie die Kollision zweier Planeten anfühlte.
    Ich wusste nichts, und das zehrte an meinen Nerven.
    In der Zeit vor Marius, als Marisa mich durch den joyceschen »verwundenden Zweifel« quälte, hatte es immer bruchstückhaft verschüchterte Eingeständnisse ihrer Eskapaden gegeben, an denen ich zu kauen hatte. Dunkle Gedanken vertraute sie ihrem Tagebuch an, zweideutige, unfertige Briefe an ihre Halbschwestern ließ sie offen liegen, verriet durch ihre Miene ihre wahren Gefühle, sprach aufgeregt am Telefon mit mir unbekannten Anrufern. Jetzt hatte sie ihr Tagebuch weggeschlossen, nie erwiderte sie meine Blicke, und ihr Telefon klingelte nicht mehr. Was wahrscheinlich besagte, dass es ernst war.
    Fragte sich nur: Wie ernst?
    Was Marius betraf – den ich früher nie aus den Augen gelassen hatte, froh, ihn mir zu packen und ihm seinen Vier-Uhr-Termin zu verderben –, hatte ich das Gefühl, dass es besser war, ihn zu meiden, jetzt, da er meine Frau auf ihren Wegen durch Marylebone begleitete. Ich beobachtete ihn weiterhin, aber aus größerer Entfernung, stellte mich nicht mehr hinter ihm an der Käsetheke an, setzte mich nicht mehr zu ihm an einen Cafétisch in der High Street. Ich wollte weder, dass er irgendwelche Schlussfolgerungen zog, wenn er mich sah, noch, dass irgendwas passierte, wodurch Marisa den Verdacht hegen könnte, wir wären miteinander bekannt. Obgleich ich mir nichts sehnlicher wünschte, als bei Vico’s mit ihnen zu essen, ohne dass sie mich bemerkten, war es zugleich absolut wichtig, dass sie nichts davon mitbekamen, wie sehr ich in Wirklichkeit mit dabei war. Paradox, aber der Maßstab meines Erfolgs war gerade die Sorge, die ich tragen musste, um beim Genuss dieses Erfolgs nicht ertappt zu werden.
    So muss es sich wohl immer darstellen in einem Leben, das sich den krankhaften Vergnügungen widmet: Mit jedem Gewinn geht ein Rückschlag einher.
    Bis ich schließlich die Sache forcierte. Eigentlich ist Gewalt kein Begriff, den ich mit mir in Verbindung bringe. Aber es war eindeutig: Ich übte Gewalt aus.
    Â»Telefonseelsorge. Kann ich Ihnen helfen?«
    Die Stimme war sanft, aber nicht salbungsvoll, und es war nicht Marisas Stimme.
    Ich

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