Liebesdienst
hatte gehofft, dass sie an den Apparat kam, aber nicht damit gerechnet. Man kann nicht einfach seinen persönlichen Berater bei der Telefonseelsorge verlangen. »Verbinden Sie mich bitte mit Marisa.« Das geht nicht. Man muss es drauf ankommen lassen, selbst als Stammkunde. Man muss sich mit dem begnügen, den man an die Strippe kriegt.
Darüber hatte ich mit Marisa schon vor langer Zeit mal gesprochen, nicht wissend, dass ich die Information eines Tages gebrauchen könnte.
»Was passiert, wenn jemand nur dich sprechen will und niemand anders?«, hatte ich sie gefragt.
»Das geht nicht.«
»Warum nicht?«
»Weil persönliche Beziehungen dieser Art nicht gerne gesehen werden. Es muss nicht zwangsläufig so sein, aber meistens sind diejenigen, die eine bestimmte Person verlangen, nur auf eine falsch verstandene Intimität aus.«
»Und was ist richtig verstandene Intimität?«
»Wenn man kein Stöhnen am anderen Ende hört.«
»Selbst wenn es keine Spinner oder Stöhner sind, kriegen sie also nie denselben Berater zweimal.«
»Nie, würde ich nicht sagen. Es variiert. Aber wenn man oft genug anruft, hat man irgendwann Glück.«
»Das ist ja wie beim Lotto. Dumm nur, falls man sich gerade eine Pistole in den Mund gesteckt hat.«
»Die Leute, die bei uns anrufen, stecken sich meistens keine Pistole in den Mund, Felix.«
Ich auch nicht, an dem Tag, als ich anrief. Aber es kommt immer darauf an, was man unter einer Pistole im Mund versteht.
»Das hoffe ich doch«, antwortete ich auf die unpersönliche BegrüÃung. »Ich glaube, meine Frau hat eine Affäre.«
»Wie kommen Sie darauf?«, fragte die Stimme, eine Spur gelangweilt.
Ich hätte immer gleich den Hörer auflegen können, wenn nicht Marisa am Apparat war, aber das wäre kleinmütig gewesen. Andererseits wollte ich auch nicht als Spinner oder Stöhner dastehen. Ich glaube, meine Frau hat eine Affäre â welche Farbe hat Ihr BH? Ich gab mir also Mühe, wie ein ganz normaler Mann zu klingen, der Angst hatte, seine Frau könnte ihn betrügen, obwohl mir das gar nicht so leichtfiel. Wie klingt ein Mann, der den Verdacht hat, seine Frau könnte ihm untreu sein?
»Es sind die üblichen Zeichen«, sagte ich und dachte, ich könnte ja mal versuchen, wie Marisas erstes Opfer zu klingen â Radio-Three-Hörer, kultiviert, beleidigt, ausgegrenzt. »Sie kommt zu unregelmäÃigen Zeiten nach Hause. Die Person, die ich in Verdacht habe, mein bester Freund, witzelt plötzlich nicht mehr mit mir rum. Es ist immer der beste Freund, nicht? Das ist der Dank.«
»Haben Sie schon mal mit Ihrer Frau darüber gesprochen?«
»Nein.«
»Das sollten Sie. Finden Sie nicht? Oft liegt man mit so einem Verdacht daneben.«
»Auf die Idee bin ich noch gar nicht gekommen«, sagte ich und ergriff die Möglichkeit, mich rasch aus der Affäre zu ziehen. »Ich spreche sie gleich heute Abend, wenn sie nach Hause kommt, mal darauf an. Danke für den Rat. Sie haben mir sehr geholfen.« Ich legte auf.
So ging das vier-, fünfmal, wobei die Anrufe immer kürzer wurden und ich mich schnell bedankte. Einmal, als ich dachte, ich wäre wieder bei der Person vom ersten Anruf gelandet, sagte ich: »Ich wollte nur Bescheid geben, dass sie noch nicht nach Hause gekommen ist«, und legte wieder auf.
Doch dann â genau wie Marisa gesagt hatte, man musste nur hartnäckig bleiben â hatte ich Glück.
»Telefonseelsorge. Kann ich Ihnen helfen?« Es war die tiefe When-I-am-laid-on-earth-Altstimme, mit der sie vor gerade mal fünf Jahren eingewilligt hatte, meine Frau zu werden. »Ja«, sagte sie, »ja, das will ich. Ja«, nur nicht wie Molly Bloom, damals nicht wie Molly Bloom.
Komischerweise war es nicht die Tatsache, dass ich sie überhaupt anrief, die mir heuchlerisch erschien, sondern, dass ich sie von zu Hause aus anrief. Eigentlich müsste ich von einer Telefonzelle aus anrufen, überlegte ich. Eine öffentliche Telefonzelle in einer StraÃe. Die StraÃe würde sie nicht erkennen, aber die Stille in unserem Haus â was war, wenn sie den Ort, von dem aus der Anruf kam, auf Anhieb erriet? Und war das nicht auch ein Verrat?
Ich stopfte mir Papiertaschentücher in die Backen, wie wir es als Schüler früher gemacht hatten, um unsere Stimme zu verstellen. »Ich habe
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