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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Probleme in meiner Ehe«, sagte ich. Es hörte sich an wie Marlon Brando in Der Pate .
    Ich konnte förmlich hören, wie sie sich anstrengte, mich zu verstehen. Viel Zeit geht mit der Überlegung drauf, hatte sie damals gesagt, als wir über ihre Arbeit sprachen, ob der Anrufer die Wahrheit sagt oder dir was vorschwindelt.
    Â»Was für Probleme haben Sie in Ihrer Ehe?«, fragte sie nach einer angemessenen Pause.
    Â»Es scheint gar keine Ehe mehr zu sein.«
    Erneutes Abwarten. Dann sagte sie: »Wie meinen Sie das, es scheint keine mehr zu sein?«
    Meine Stimme klang so alt, dass sie jetzt vermutlich erwartete, ich würde sagen: »Meine Frau ist vor sechzig Jahren gestorben.«
    Ich wälzte die Papierpfropfen im Mund umher, um einige Lebensjahre abzustreifen. »Ich meine«, sagte ich schließlich, »dass mir die Leute mit ihrer Miene zu verstehen geben, dass meine Ehe keine mehr ist. Fremde sehen mich mitleidig an. Die grausameren unter ihnen lachen mich aus. Und einige Freunde erkundigen sich neuerdings, wie die Scheidung läuft, obwohl ich gar nicht wusste, dass wir uns trennen, geschweige denn scheiden lassen.«
    Paranoid, hörte ich sie denken.
    Â»Ich weiß, was Sie jetzt denken«, fuhr ich fort. »Sie denken, ich sei paranoid. Aber ich habe die Beweise schwarz auf weiß. Gestern lag ein Umschlag mit zwei Theaterkarten auf dem Garderobentisch.«
    Vor drei Wochen hatte ich zwei Karten für Don Giovanni auf unserem Garderobentisch gefunden, außerdem einen Zahlungsbeleg mit Marisas Namen und Kreditkartennummer. Mich hatte sie nicht gefragt, ob ich sie zu der Aufführung begleiten wollte.
    Â»Solche Karten beweisen erst mal gar nichts.«
    Jetzt war ich derjenige, der genau hinhörte.
    Â»Für mich schon«, sagte ich. »Sie sind Beweis für außerehelichen Geschlechtsverkehr, für Ehebruch, Betrug – für all diese Dinge.«
    Ich rechnete damit, dass sie den Telefonhörer auf die Gabel knallte, aber es folgte nur ein langes, tiefes Schweigen. »Felix«, sagte sie schließlich. »Was soll das? Du weißt doch, dass du mich hier nicht anrufen kannst.«
    Â»Warum nicht? Wo soll ich dich denn anrufen?«
    Â»Felix …?«
    Â»Ich rufe die Telefonseelsorge an, nicht dich. Ich muss mit jemandem reden. Meine Frau ist zu anspruchsvoll, um auf normalem Weg mit mir zu kommunizieren. Deswegen rede ich mit jedem, der gerade abhebt. Diesmal hat es dich getroffen, Pech gehabt.«
    Â»Wir können das Gespräch in diesem Rahmen nicht fortsetzen, Felix.«
    Â»Dann sag mir nur eins …« Ich war verblüfft, wie mitgenommen ich auf einmal war. Meine Hände zitterten wie die eines alten Mannes. Meine Augen waren feucht. Woher kamen meine Tränen und meine Worte?
    Â»Nein, Felix. So nicht.«
    Â»â€¦ hast du ihn schon gefickt?«
    Diesmal, als ganz schwaches Klicken in der Leitung wahrnehmbar, wurde der Hörer aufgelegt.
    *
    Noch am gleichen Abend redeten wir miteinander.
    Ich werde das Gespräch hier nicht wiedergeben, denn das könnte ich gar nicht. Obwohl ich sie anflehte, mir mit Worten zu erklären, was los war, sind es nicht die Worte, an die ich mich erinnere. Selbst in extremen Situationen waren wir immer viel zu geübt im Gespräch, zu gewieft, zu geschmiert, als dass unser Gerede uns weitergebracht hätte. Vielleicht können nur Menschen, die gewöhnlich nicht viel miteinander reden, mithilfe der Sprache zu Freimütigkeit vordringen. Wir nicht. Ich mag mich über das Netz der Verschwiegenheit beklagt haben, das sie um mich gesponnen hatte, doch jetzt zeigte sich, dass wir schon längst zu viel gesagt hatten. Ob wir schwiegen oder nicht, wir litten an einem Übermaß an Ausdruck und Literatur. Um zu Freimütigkeit vorzustoßen, brauchten wir keine zweite Medea, keinen zweiten Menelaos, sondern rohe Emotionen. Wir brauchten Zeit. Wir mussten zusammen weinen. Mit Sachen um uns werfen. Uns vielleicht sogar Gewalt antun.
    Ich brauche nicht zu sagen, dass keiner von uns beiden die Hand hob. Nur ich – aus Gründen, die mir damals unerklärlich waren und es teilweise noch sind – vergoss Tränen.
    Marisa wiegte mich wie eine Mutter. »Ruhig, Felix, ganz ruhig«, an diese Worte aus ihrem Mund erinnere ich mich. »Ganz ruhig, Felix.«
    Woher kamen sie bloß, diese Gefühle? Worüber weinte ich?
    Marisa war zu erfahren und zu intelligent, um mir

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