Liebesdienst
Nummer abzuziehen, um Marisas Affäre ein Ende zu bereiten oder Marisa aus dem Haus zu werfen. Noch im hintersten Winkel des Restaurants, sogar dann, wenn er noch mit anderen Gästen beschäftigt war, schüttelte er mit einer demonstrativen Geste tiefen Mitgefühls den Kopf, nicht frei von ebenso tiefer Verachtung. Als ich einmal mit kritzelnden Bewegungen in der Luft nach der Rechnung verlangte, kritzelte er eine Antwort in die Luft. Ich glaube, es sollte CUCU heiÃen, also Cuckold. Und wenn mich nicht alles täuschte, stand von da ab immer dann, wenn ich morgens auf dem Weg zur Arbeit auf einen schnellen Kaffee vorbeischaute, CUCU in Schokoladenschrift auf meinem Cappuccino geschrieben.
Nach einem besonders hektischen Abend setzte er sich gegen jede Etikette zu mir an meinen Tisch. Er schwitzte stark.
»Ich bin am Ende, Signor Quinn«, sagte er. »Ich verkrafte es nicht mehr.«
Was sollte ich dazu sagen? Wenn man ganz in der Abartigkeit seiner eigenen Begierden aufgeht, vergisst man, welch ungeheure Wirkung die eigenen moralischen Capricen auf andere haben können. Ich beugte mich vor und legte meine Hand auf seine. Meine war kühl und trocken, seine warm und feucht. »Es geht mir gut«, sagte ich. »Es geht mir sogar sehr gut. Es läuft alles zu meiner vollen Zufriedenheit. Hier, trinken Sie einen Brunello mit mir.«
Mit einem Zucken seiner Bärenschulter lehnte er den Wein ab, sah mich ungläubig an und beschloss dann fortzufahren, als hätte ich nichts gesagt. »Ich bin seit vierzig Jahren Laufjunge und Kellner«, sagte er. »Es reicht. Wird Zeit, dass ich in Rente gehe. Meine Beine sind müde. Nächste Woche fahre ich nach Umbrien zu meiner Familie.« Er formte seine Hände zu einer Erdkugel, als stünde ihm das Tor zur Welt offen, aber als sei Umbrien die einzige Welt, die ihm am Herzen liege. »Sonne, Wein, Salami«, sagte er.
Polnische Wurst kam nicht vor, wie mir auffiel. Ich war schon froh, dass nicht ich der Grund war, dass er in Rente ging.
Ich schüttelte den Kopf und sagte zu Rafaele, dass er mir fehlen werde. Er wollte unbedingt, dass wir uns küssen wie Männer, und dann, als verbinde er das mit Männern, die Männer küssen, sagte er: »Signor Quinn, in meinem Land gibt es ein Sprichwort: Jestem czÅowiekiem i nic, co ludzkie, nie jest mi obce.«
»Hört sich in meinen Ohren nicht gerade italienisch an, Rafaele.«
»Das ist ein umbrischer Dialekt. Ich komme aus einem sehr entlegenen Dorf. Aber wissen Sie auch, was die Redewendung bedeutet? Ich bin ein Mensch, und nichts Menschliches ist mir fremd.«
»Klingt gut«, sagte ich.
»Gut, aber nicht wahr. Manches ist mir zu fremd, das kann ich nicht verstehen.«
»Jeder Mensch ist anders«, sagte ich.
»Und Sie sind nicht unglücklich, Signor Quinn?«
»Ich bin ein glücklicher Mensch, Rafaele. Ich bin quicklebendig bis in die Fingerspitzen. Hier, fühlen Sie. Ich wünsche Ihnen, dass Sie in Ihrer Heimat Umbrien auch so glücklich werden.«
Er sprang auf. »Dio ce ne scampi e liberi!«, sagte er.
»Wissen Sie, was das heiÃt?«
»Vielleicht, âºWenn ich doch nur auch so glücklich wäreâ¹?«
Er blickte entsetzt und machte eine polnische Geste mit seinem Daumen, als setzte er sich eine Pistole an die Schläfe. »Es bedeutet: Das verhüte Gott!«
*
Ich war traurig, als er ging. Mir fehlte das Schokoladen- CUCU auf meinem Cappuccino.
Doch die Befürchtung, ich hätte meine lebendige Verbindung zu den Turteltäubchen verloren, bestätigte sich nicht. Ich bekam rasch eine bessere. Wenn die Götter der verdrehten Liebe mit dir zufrieden sind, überschütten sie dich mit Geschenken.
Nach Rafaele kam Ernesto, diesmal ein echter Italiener. Ernesto war ein Schneider, den vor Kurzem ein schweres Unglück ereilt hatte und der sich jetzt nach einem neuen Tätigkeitsfeld umsah. Ich kannte ihn seit Jahren; er betrieb eine kleine Ãnderungsschneiderei über einem Schuhgeschäft in der Marylebone Lane, kürzte Hosen und versetzte Knöpfe für Versace und Armani und für Laufkundschaft. Er hatte seine Frau durch einen plötzlichen Herzinfarkt verloren, mitten in der Schneiderwerkstatt, in der er seit Jahrzehnten arbeitete, und er konnte es nicht ertragen, in die Räume zurückzukehren. Er suchte keine neue berufliche Herausforderung, nur eine Beschäftigung, die
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