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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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ich ein.

Unsere kleine Familie: Marius und Marisa, zusammen im Bett, in meinem Haus, und ich – es sei denn, ich hatte beruflich zu tun, aber ich achtete darauf, dass das möglichst selten der Fall war – draußen in den Straßen von Marylebone. Jetzt verstand ich, was Marius mit der Stunde der Unruhe meinte, der Stunde, an dem der Tag noch nicht vorbei, die Triebwerke des Abends gerade erst angelaufen sind. Um vier Uhr sahen die Menschen anders aus, wenn man erst mal wusste, wonach man in ihren Gesichtern suchte, so wie jeder mit diesem Wissen bei meinem Anblick wahrscheinlich dachte: tagsüber ein erfolgreicher antiquarischer Buchhändler, doch nachmittags ein Ehemann, dessen Frau nackt mit ihrem Liebhaber im Bett liegt.
    Um vier Uhr war alles in Marylebone im Fluss. In den Geschäften, die ich regelmäßig aufsuchte, herrschte eine Unruhe, die meiner eigenen entsprach. Die Verkäufer verhielten sich anders als in den Vormittagsstunden; was sie nicht aufregte, das fürchteten sie. Ihre Herzen flimmerten. Sie hörten einem nicht zu. Sie überprüften oder zählten Kassenrollen. In dem Käsegeschäft hatten sie Angst, dass ihnen die Lebensmittel schlecht wurden. In den Konditoreien gingen ihnen die Kuchen aus. Vor den Restaurants, draußen auf der Straße, standen die Köche und Kellner und rauchten ihre letzte Zigarette, bevor das Abendgeschäft losging. Im Vorbeigehen wechselte ich verschwörerische Blicke mit ihnen, wir hatten irgendeine Heimlichkeit gemeinsam. Selbst die Taxifahrer fuhren, ohne nach Fahrgästen Ausschau zu halten, und ließen sich nur widerwillig anhalten, weil sie befürchteten, jemand könnte die falsche Zeit im Kopf haben und wollte an ein allzu fernes Ziel gebracht oder in einen gefährlichen Bezirk der Stadt gefahren werden. Niemand wusste genau, was er wollte – nur nicht das, was jetzt war.
    Wenn der Wind richtig stand, konnte man den Park riechen. Ein bitterer, modriger Geruch, wie von einem von Booten aufgewühlten See. Manchmal nahm ich mir vor, bis zum Park zu gehen, aber ich schaffte es nie. Lieber wollte ich von Häusern umschlossen sein. Wenn die Tage kurz waren, waren die Lichter ein Trost, wie ein Käfig. Ich war nie viel in Pubs gegangen, doch jetzt entschloss ich mich bewusst, mal in dem einen oder anderen – ich machte da keine großen Unterschiede – auf ein Glas Wein vorbeizuschauen. Wenn mich andere Gäste ansprachen, unterhielt ich mich mit ihnen. Aber wenn ich ihnen verriet, warum ich hier war – »an den Nachmittagen, wenn meine Frau zu Hause ihren Liebhaber empfängt, vertreibe ich mir so lange die Zeit draußen, aus Anstand« –, verspürten sie auf einmal den Drang, mich wieder mir selbst zu überlassen.
    Einmal, ich hatte mich gerade an einen Tresen gesetzt, kam ich ins Gespräch mit einem Geschäftsmann aus Atlanta, der in Marylebone zu Besuch war, um seine Tochter an der American InterContinental University unterzubringen, die in der High Street einen eigenen Campus unterhielt. Wenn ich mich nicht gewehrt hätte, hätte er mir seine politische Meinung dargelegt, Bush, Irak, Guantanamo Bay. Aber ich hatte Marisa nicht zu Hause in den Armen von Marius zurückgelassen, um mit einem Fremden über die amerikanische Nahostpolitik zu diskutieren. »Sehen Sie, da drüben«, sagte ich und zeigte gegenüber auf eine Frau, die ich für eine Produzentin der BBC London hielt – sie trug, ungeachtet ihrer schlichten äußeren Erscheinung und des geringen Gespürs für Kleidung, jene unverhohlene Flirtbereitschaft zur Schau, die ich bei Mitarbeiterinnen der BBC häufig beobachtet habe. Eindringlich redete sie auf einen jungen Mann mit wilder Haarmähne, in schwarzem T-Shirt und Lederjacke ein, wahrscheinlich ein Moderator und ganz bestimmt verheiratet. Zwischendurch beugten sie sich ein Stück vor und küssten sich mit offenem Mund. »Die da«, sagte ich, »das ist meine Frau.«
    Der Geschäftsmann packte mich am Arm. »Und das lassen Sie zu?«
    Â»Ich kann es nicht verhindern.«
    Â»Ich erledige das für Sie.« Wenn ich ihn nicht zurückgehalten hätte, wäre er von seinem Hocker aufgesprungen.
    Â»Sie will es so«, sagte ich.
    Â»Und Sie? Was wollen Sie?«
    Â»Ich will das, was sie will.«
    Â»Weiß der Kerl, dass Sie ihr Ehemann sind?«
    Â»Das möchte ich bezweifeln. Aber eigentlich ist das

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