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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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ja vielleicht verschwunden. Doch nichts von dem war mir vergönnt, denn in unserem Ruheraum saß Dulcie, die offensichtlich mit mir reden wollte.
    Â»Zwei Dinge«, sagte sie, als ich zur ihr kam. »Das heißt, eigentlich drei.«
    Â»Und die wären?«
    Â»Eine Freundin hat mir gesagt, dass sie auch so eine Karte bekommen hat mit dem Aufdruck: ›Bringen Sie Ihr Leben in Ordnung.‹ Wenn man genau hinguckt, erkennt man, dass sie gar nicht mit der Hand geschrieben ist. Es ist offenbar eine Werbekampagne von so einem Beratungsdienst, der gerade am Devonshire Place eröffnet hat. Ihre Sorge war also ganz umsonst.«
    Ich war in letzter Zeit mit so vielen anderen Dingen beschäftigt gewesen, dass ich diese Karte ganz vergessen hatte. »Bringen Sie Ihr Leben in Ordnung!« Ein solider Ratschlag, ob er nun an mich persönlich gerichtet war oder nicht. Eigentlich wäre es mir nur lieber gewesen, Dulcie hätte mich nicht über den wahren Zweck aufgeklärt. Aber das wollte ich ihr jetzt nicht sagen.
    Â»Ja, das stimmt«, sagte ich. »Bleibt nur die Frage, warum die Firma meint, ich könnte ihren Beratungsdienst gebrauchen. Warum zum Beispiel hat sie Ihnen nicht auch geraten, Ihr Leben in Ordnung zu bringen.«
    Â»Weil«, sagte sie und hob ein Bein, um mir zu zeigen, dass das goldene Fußkettchen sich wieder um ihren Knöchel schmiegte, »ich es getan habe.«
    Â»Das ist ja fantastisch, Dulcie«, log ich.
    Â»Sie haben auch bestimmt nichts dagegen?«
    Â»Warum sollte ich etwas dagegen haben?«
    Â»Das Image der Firma und so …«
    Â»Unsere Firma hat schon schlimmere Skandale überstanden. Wenn Sie glücklich und zufrieden sind, wenn Lionel glücklich und zufrieden ist, dann ist Felix Quinn, Antiquarischer Buchhändler, auch zufrieden.«
    Â»Und die sind nicht die Einzigen«, ergänzte sie, und ihre Stimme stockte.
    Â»Wieso? Wer ist denn noch glücklich und zufrieden?«
    Â»Raten Sie mal.«
    Nicht mein Ratetag heute, gab ich ihr mit einem Schulterzucken zu verstehen.
    Â»Der Elektriker.«
    Â»Nein! Dulcie!«
    Â»Doch.« Sie wirkte unangenehm selbstzufrieden auf mich, wie jemand, der gerade seinen ersten Marathon überstanden hatte, wenn auch nicht in Bestzeit. Eine tiefe schamhafte Röte zeichnete sich auf ihren Wangen ab und kroch hinunter bis zum Brustansatz.
    Â»Dulcie!«, wiederholte ich.
    Â»Ja, ich weiß«, sagte sie.
    Und diesmal kroch die Röte bis hinunter zu ihrem Fußkettchen.
    Ich brachte den ganzen Vormittag nichts zustande. Kunden kamen und gingen, niemand, der meine Aufmerksamkeit gebraucht hätte. Dulcie hüpfte mit ihrem klimpernden Kettchen durchs Büro, und ich saß in meinem Stuhl und trauerte wie Elektra über ihren Vater.
    Ich hatte Dulcie mit gutem Zureden in die Arme ihres Elektrikers getrieben, und Marisa mit einem Trick in die von Marius. Dennoch hatte für mich als Mann das Schamgefühl bei Frauen einen hohen Wert, jedenfalls abstrakt und da, wo es mich direkt betraf. Eine Frau, die billig zu haben war, war ein Schreckgespenst für mich. Das mag widersprüchlich erscheinen, ist es aber nicht. Worin sollte der Sinn in all meinem Tun bestehen, wenn Frauen für mich Billigware wären?
    Ein kubanischer Arzt hatte seine Hände auf die Brüste meiner Frau gelegt. Was war schon Großes dabei? Bestimmt gab es Länder auf dieser Erde, vielleicht sogar Kuba, wo diese Geste übliche Praxis war. Für mich jedoch war es keine übliche Praxis. Mich hat es immer zutiefst schockiert, wenn sich jemand Freiheiten gegenüber Frauen herausnahm, oder wenn Frauen ihre Geilheit zur Schau trugen.
    Ich weiß nicht mehr, wie alt ich war, als mein Vater mich zu einer Aufführung von Molières Der Menschenfeind im Albery Theatre in der St. Martin’s Lane mitnahm. Immerhin war ich so alt, dass ich besorgt und peinlich berührt war, als der Schauspieler, der den Oronte gab, seine Hände in den Ausschnitt der Schauspielerin steckte, die die Célimène spielte. Kein Wunder, dachte ich, dass der Alceste aus dem Stück sie wenig später stehen lässt. Man kann eine Frau nicht lieben, die einem anderen Mann erlaubt, seine Hand auf diese gewisse Stelle zu legen. Aber was war mit der Schauspielerin? Wie konnte sie das zulassen, und mochte es auch im Namen der Kunst sein? Wenn nun die Eltern oder ihr Mann oder gar ihre Kinder im Parkett saßen? Wie

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