Liebesdienst
heiÃen, dass sie zerbrechlicher war als ich. Vielleicht sogar das Gegenteil. Dass sie für Besseres vorgesehen war. Dass sie eine Erniedrigung durch ihn erfuhr.
Die Details waren unwichtig. Ich hatte gesehen, wie er zu Werk ging. Er hatte sie fasziniert und ihr dann gezeigt, dass er selbst nicht fasziniert von ihr war. Er hatte sie oft genug gewarnt, er sei ein Mensch, der in jedem Anfang bereits das Ende heraushöre; jetzt bekam sie es zu hören. Er war zynisch ihr gegenüber geworden, wie er vorausgesagt hatte. Er hatte ihr den Rücken zugekehrt, eiskalt. Aber er hatte sie nicht verlassen. Er hielt sie sich warm, lauwarm, gerade so, dass sie an ihm dranblieb. So wie er Elspeth an der Leine gehalten hatte, dass sie unfähig war, sich zu bewegen, nicht vor und nicht zurück, während sie langsam verging.
Da bin ich, dein Vier-Uhr-Lover, musste er gesagt und auf die Uhr geguckt haben, während sie ihn ins Haus lieÃ, ihr düsteres Gesicht sich aufhellte bei seinem Anblick, so wie früher bei meinem â vier Uhr, die Stunde, in der die Zeit auf ihrer Achse kippelt, die Ãbergabestunde, weder Tag noch Nacht, vier Uhr, wenn ein Mann der Träume und des Zynismus keine andere Wahl hat, als sich an einen anderen Ort zu sehnen. Und natürlich, natürlich muss der Liebesakt himmlisch gewesen sein â traurig, hastig, final, so wie ein Schmetterling zum letzten Mal mit den Flügeln schlägt, bevor sich die Hand des Todes um ihn schlieÃt.
Er war nicht der Einzige, der in der Ouvertüre bereits den letzten Akt heraushörte.
*
»Tanz Tango mit mir, Marisa«, sagte ich. »Tanz Tango mit mir im Park.«
»Mit dir Tango tanzen? Du hasst den Tango doch.«
»Nur weil ich ihn nicht tanzen kann. Bring ihn mir bei.«
»Was soll das?«
»Tu es, für mich.«
»Ich bin aus der Ãbung.«
»Und mir fehlt das Talent.«
»Wann?«
»Kommenden Sonntag.«
»Sonntag. Mein Gott, ist es schon wieder so weit?«
»Die Zeit verfliegt, wenn man im Rausch lebt.«
Sie sah mich gequält an. »Wir wollten eigentlich ausgehen.«
Wir, wir, wir.
»Sag ab. Nur dieses eine Mal. Für mich. Du tanzt doch so gerne drauÃen im Park. Und das Wetter verspricht schön zu werden.«
Marius war kein Tänzer, natürlich nicht, er war viel zu rational und nihilistisch für einen Tänzer. Einen Tanz kann man nicht wie einen Menschen erst verführen und ihm dann ein Auge blau schlagen. Und ein Freund von Parks war Marius schon gar nicht. Parks erinnerten ihn an die Welsh Marches und die Jahre, die er damit vergeudet hatte, Elspeth dabei zuzusehen, wie sie zu Staub zerfiel. Daher war ich ganz zuversichtlich, dass er und Marisa nicht vorhatten, im Regentâs Park Tango zu tanzen.
»Können wir das später klären?«
»Nein. Verschieb einfach, was ihr euch vorgenommen hattet. Ich bitte dich selten um etwas, Marisa. Du bist nicht mehr ganz bei dir. Du musst wieder tanzen. Du brauchst das.«
»Du bist auch nicht mehr ganz bei dir«, sagte sie; freundlich, wie ich fand.
»Stimmt. Ich fühle mich wirklich ziemlich daneben. Ich muss mit dir tanzen.«
Jetzt sah sie mich lange an. Früher wären wir uns bei einem so intensiven Blick in die Arme gesunken.
»Also gut, Felix«, sagte sie.
Mir blieben noch zwei Tage, um zu klären, was zu klären war.
Mir fiel sofort Ernesto ein. Keine Fragen mehr, darauf hatten wir uns geeinigt, aber das musste ja nicht heiÃen, dass er mir keinen Gefallen mehr täte. Ich wollte nicht riskieren, mich bei Vicoâs mit ihm zu treffen, falls Marisa und Marius da waren, Marisa ihren Marius für die gebrochene Verabredung mit Hummer-Linguine tröstete, dem Gericht, das bei Vicoâs besser als in allen anderen Restaurants in London zubereitet wurde, und dem Champagner, den das Paar am liebsten trank (Jacquesson Extra Brut, 1996). Also fuhr ich mit dem Taxi nach Maida Vale und wartete vor seinem Haus darauf, dass er müde der U-Bahn entstieg.
Er schien nicht gerade sehr erfreut, mich zu sehen, aber bat mich einzutreten. Unsere Stimmen hallten im Haus wider. Fehlt die Frau im Haus, hallen die Räume. Auf dem Garderobentisch standen Plastikblumen, verstaubt. Auf dem Kaminsims eine Halbliterflasche Wein, nicht ganz ausgetrunken. Das Hochzeitsfoto zeigte die beiden vor einer gemalten Schiffskulisse, lachend. Auf zur groÃen Reise.
Zuerst sträubte er
Weitere Kostenlose Bücher