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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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alles zu lieben, was Marisa liebte. In Wirklichkeit gefiel ihr von allen südamerikanischen Tänzen der Tango am wenigsten. Er passte nicht zu ihr. Marisa tanzte, um sich in der Bewegung zu verlieren, aber die Rhythmen des Tangos standen dieser Form der Selbstaufgabe, die sie beim Tanzen erleben wollte, entgegen. Sie verlangten zu viele Richtungsänderungen. Sie waren zu abrupt, zu manipulativ vielleicht, zu bewusst gesteuert für jemanden. der beim Tanzen wie Wasser fließen wollte.
    Mir war die Schrittfolge einerlei. Auch ich verlor mich auf der Tanzfläche gerne in der Musik, aber ich hätte mich genauso gerne verloren, ohne meine Füße bewegen zu müssen. Wenn überhaupt, dann machte es mir der Tango mit meinem Wunsch nach Unbeweglichkeit sogar leichter. Beim Tango in seiner höchsten Vollendung wird von dem Mann viel Ausdruck verlangt, doch den Männern auf Regent’s-Park-Niveau waren die Schritte viel zu kompliziert, sie schritten eher, als dass sie tanzten, die ausgefallene Beinarbeit überließen sie den Frauen. Außerdem nötigte der Tanz den Mann dazu – ich spreche hier allerdings ohne echte Kenntnis der argentinischen Kultur –, gegenüber der Frau, ohnehin nur eine gewöhnliche Hafendirne, deren Aufgabe es ist, ihren Partner aus seinem kalten Machismo zu locken, eine ordinäre Gleichgültigkeit vorzutäuschen. Es ist Teil des Rituals, dass der Mann sich nicht nur Zeit mit seiner Reaktion lässt, er muss der Frau auch noch Hindernisse in den Weg stellen, ihre Füße blockieren – eine Parada, wie dieser bösartige Schritt auch genannt wird –, sodass sie gezwungen ist, mit ihren Stöckeln herumzuwedeln und sich mit der Ferse einzuhaken, eigentlich alles halb flehentliche, halb frivole Versuche, sich von der Fuchtel des Mannes zu befreien.
    Ich hatte während des Tangounterrichts in unserem kleinen Gemeindesaal nie gut aufgepasst, weil mich der Anblick der sich eng an einen anderen Mann schmiegenden Marisa viel mehr interessierte. Aus der Theorie wusste ich jedoch immerhin, dass es sich um einen Tanz handelte, der sexuelle Anzüglichkeit, ja Grausamkeit feierte; um eine choreografierte Invasion eines intimen Raums. Die Frau klammert sich an den Mann in einer Umarmung – der Abrazo –, die verzweifelt ist und die man gemeinhin nicht gern erträgt, wenn die Partnerin die eigene Frau ist und man selbst nicht der Tänzer, es sei denn, man jagte dem Schmerz hinterher so wie ich. In keiner anderen Lebenssituation, außer beim Vorspiel zum Liebesakt, schließt eine Frau die Augen, presst ihre Brust an die eines Fremden, schlingt einen Arm um seinen Hals, krallt die Finger in sein Haar und tritt vor frustrierter Begierde mit den Füßen um sich.
    Nicht so Marisa, der, wie gesagt, die Voraussetzung zu diesem Tanz fehlte. Sie war zu maskulin dafür, so meine Vermutung. Sie war bereit sich zu verlieren, wenn sie konnte, aber nicht auf Geheiß irgendeines Gauchos, der ihr zum Spaß ein Bein stellte.
    Dennoch war sie auf meine dringende Bitte eingegangen und spielte ihre Rolle überzeugend. Ich wurde sogar zu einer Modenschau eingeladen, bevor wir das Haus verließen, damit ich auch das passende Kostüm für ihre Rolle aussuchen konnte. Meine Wahl war vorhersehbar – ein silbergrauer Rock im Leopardenlook aus einem eng anliegenden Material, weich gespannt über den Hüften, und an den Seiten geschlitzt, damit sie ihre Beine zeigen konnte; ein Kleidungsstück, wie nur Marisa es aus der Grabbelkiste irgendeines Ramschladens in der High Street fischen konnte, das aber, kaum war sie hineingeschlüpft, luxuriös aussah. An den Füßen metallicschwarze nuttige High Heels – die höchsten Absätze, zu denen ich sie überreden konnte – mit einem Fußriemchen, wie es der Tanz verlangte. Darüber ein weißes Hemd, in Höhe der Taille geknotet. Bei Mädchen mit Waschbrettbauch ist so ein Hemd sinnlos. Marisa dagegen war gerade füllig genug, und der Tango verlangt Fülle. Und weil es auch ein trashiger Tanz ist, legte sie ihre billigsten weißen Plastik-Ohrringe an.
    Keine wahrhaft trashige Person konnte so trashig aussehen wie Marisa. Beim Trash, wie bei allem anderen, war Raffinesse ein absolutes Muss.
    Während ich mit ihr tanzte, wie wir schon lange nicht mehr getanzt hatten, und sie sich ganz sinnlich gab – den Arm um meinen Hals geschlungen, die Brust an

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