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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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es, als wollte sie etwas nachholen, als lachte sie über etwas, das beim letzten Mal hier geäußert worden war. Sie war alles andere als langsam, sie funktionierte nur einfach in einer anderen Dimension, machte sich ihre Gedanken und hob sich das, was um sie herum gesagt wurde, für eine Stunde auf, in der sie empfänglicher dafür war.
    Frauen, die auf diese Weise der Zeit entwischen, finden geradewegs in mein Herz. Ihr Nicht-ganz-da-Sein kommt meinem Wunsch entgegen, von ihnen begehrt zu werden, bevor sie mich kennen, und wenn sie mich dann kennen, von ihnen hintangesetzt zu werden. Sie verweigern mir eine irdische Wirklichkeit auf eine Weise, die mich erregt und energetisiert. Sie verheißen mir die Möglichkeit, mich irgendwann ganz in ihnen zu verlieren.
    Um es deutlicher zu sagen: Sie appellieren an mein Mitleid. In der Zehntelsekunde, bevor ich mir ausmale, mich in ihnen zu verlieren, stelle ich mir vor, dass ich ihnen etwas Gutes tue, sie vor etwas beschütze, was weiß ich, vor Terroristen, den schmelzenden Eispolen, Zynismus, Marius, mir selbst.
    Ich rede, als hätte es solche Frauen scharenweise in meinem Leben gegeben. Dem ist nicht so. Wenn ich von Marisa auf die Allgemeinheit schließe, dann deswegen, weil ich in ihr gleich im allerersten Augenblick erkannte, was ich in einer Frau schon immer gesucht hatte. Anders ausgedrückt, ich sah in ihr mein Schicksal.
    Was genau sah ich? Ein graues Licht in ihren Augen. Nicht unbedingt Skrupellosigkeit, aber eine aus Ernst erwachsene Gewissheit. Sie schmunzelte, sie lachte, sie sah woandershin und war nicht ganz bei uns, aber es hätte wohl niemand weniger frivol erscheinen können. War sie sittenstreng? Ich glaubte, ja; und Sex lohnt sich nur mit sittenstrengen Menschen, denn Erotik stellt sich nur dort ein, wo ernsthaft die Folgen abgewogen werden.
    Als ich ihr die Hand gab, nahm sie sie, als hätte sie ein Recht auf deren Besitz. Das hatte nichts Kesses oder Kokettes an sich, nicht im Entferntesten, hatte nichts mit dem zu tun, was mein Vater früher »Nuttenkrallen« genannt hätte. Es schien ihr einfach natürlich, sich etwas zu nehmen, das sich ihr bot, und es so lange, wie es ihr beliebte, festzuhalten. Was immer sie fortan von mir berührte, gehörte ihr. Ich saß nur da, sah zu und zählte meine Verluste.
    Â»Die Art und Weise, wie ein Mann seine Jacke auszieht, besagt alles über ihn«, behauptete meine Großmutter immer. »Wenn es nicht mit Selbstbewusstsein geschieht, sollte man sie lieber anlassen.« Wie Marisa ihre Jacke auszog – wunderbar geschnitten, ein Einreiher mit breitem Revers und ausgestelltem Schoß, der ihre Hüften betonte –, sagte mir alles über mich . Ich war hin und weg. Dabei half ihr ein Kellner aus der Jacke, eine Bewährungsprobe für das Selbstbewusstsein, doch sie reagierte auf seine Bewegungen – lehnte sich ihm entgegen, um dann die Jacke abzuschütteln –, als hätten Männer ihr schon das ganze Leben lang aus Jacken geholfen. Unter der Jacke trug sie eine hauchdünne liebeskranke Seidenbluse, die ihren Körper eher umgeisterte, als ihn bedeckte. Kein tiefer Ausschnitt. Sie war, wie ich entdeckte, nicht der Typ für tiefe Ausschnitte. Sie besaß kein einziges Kleidungsstück mit Dekolleté. Frauen, die fremde Blicke auf ihren Busen lenken wollen, haben immer etwas Bedürftiges. Marisa trug ihre Brüste mit einer schonungslosen Selbstsicherheit, in dem Wissen, dass die Vorderseite den schöneren Anblick bot, nicht der Abgrund zwischen ihnen; eine Frage der harmonischen Wechselbeziehung von Thorax und Abdomen, von Armen, Rücken und Schultern, nicht allein dem Umriss und der Schwellung geschuldet. Ich betone das, weil mich Brüste für sich genommen als Objekte der Lust, unabhängig von der Frau, nie sonderlich gereizt haben. Berührt hat mich viel mehr, wie Marisa ihre Brüste trug, als eine Art Prolog oder Frontispiz zu ihrer Person, weich und wohlgeformt zugleich, nicht groß und dennoch üppig in der Wirkung. Jedenfalls musste ich, als sie sich setzte, den Blick abwenden. Entweder weggucken oder erblinden. Ob das der Grund war, warum sie lachte, konnte ich nicht erkennen; aber sie gehörte zu den Frauen, die wissen, dass sie über die Aufregung lachen müssen, die durch ihre Sinnlichkeit verursacht wird. Und sie lachte mit einer klangvollen Altstimme, die, wie alles an ihr,

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