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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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mit ihr essen zu gehen. Es war ganz praktisch, dass wir quasi Nachbarn waren, beide in Marylebone wohnten. Alles, was man für ein Leben in einem beginnenden, zivilisierten ehebrecherischen Verhältnis brauchte, war in Reichweite, wir brauchten nur unsere zarten Hände danach auszustrecken, ohne durchsichtig oder gierig zu erscheinen. Wir sahen uns viel Kunst an, noch häufiger gingen wir essen. Essen war unser Terrain, Restaurants die Bühne unserer Balz, häufiger als Hotelzimmer. Marisas Lieblingsrestaurant – in das sie auszuführen Marius eines Tages das Recht zuerkannt bekam und der Ort ihres ersten Kusses (achten Sie mal auf die störenden Zischlaute) – war zuerst mein Lieblingsrestaurant. Es machte einen Teil meiner Anziehungskraft aus, dass ich viel mehr Restaurants kannte als sie und Freddy, und dass noch mehr Restaurants mich kannten. Ich muss ihr als ein Genussmensch erschienen sein: ein Mann, der sich ganz den drei großen »sitzenden« Vergnügungen hingibt – Lesen, Essen, Reden. Und Frauen mögen Männer, die für sie still sitzen.
    Marisa mochte aber auch Männer, die, bei anderen Gelegenheiten, mit ihr tanzten. Ich sträubte mich zunächst. Nicht, weil ich nicht tanzen konnte, sondern weil ich Tanzen mit meiner Mutter und meinen Tanten in Verbindung brachte und weil ich glaubte, es würde mir keinen Spaß machen – bis ich es tat. Erst ihre Klage, dass Freddy nie mit ihr tanzte, stimmte mich um. So wie Freddy wollte ich nicht sein. Was Freddy nicht machte, machte ich. Und umgekehrt. Die Tanzschule, untergebracht in den Gewölben einer grauen viktorianischen Kirche, lag praktisch vor meiner Tür. Wenn Marisa mich aus heiterem Himmel anrief, gerne auch während der Arbeit, und fragte, ob ich Zeit hätte zu tanzen, konnte ich binnen zwanzig Minuten einen Quickstepp mit ihr aufs Parkett legen. Manchmal war sie bereits da, wenn ich kam, in den Armen eines der Eintänzer, die sie aus einem Nebenraum voll scharf rasierter Bankangestellter herbeizitieren konnte. Dann setzte ich mich, ein williges Mauerblümchen, zwischen abgelegten Regenjacken und Arbeitsschuhen auf einen der am Rand der Tanzfläche aufgereihten Plastikstühle und überließ Marisa dem Mann und der Bewegung.
    Wenn sie sich dem Tanzen hingab und ihren Körper vergaß, konnte ich meinen allein vom Zuschauen vergessen. Weder war sie wie die sorgenschweren Japanerinnen in der Tanzschule, die sich mit den Schrittfolgen mühten, als wäre Tanzen eine reine Sache des Verstands, das dem Körper von Grund auf beigebracht werden musste und sich nur zwischen Fußknöchel und Zehen abspielte, noch wie die orgiastisch Tanzenden, die ihre Mähne im Rhythmus schwangen und mit den Armen fuchtelten. Ihre Ekstase war weitaus maßvoller – konzentriert, niemals selbstvergessen, als bliebe der Verstand, dem sie entfloh, immer im Raum anwesend und wartete darauf, sie nach Hause zu begleiten –, sodass dieser Zustand des Besessenseins eine Art Trotz war, nicht zuletzt ihr selbst zum Trotz und mir, wie ich gerne geglaubt hätte. Sie schloss die Augen und warf den Kopf in den Nacken, und ich war daraus verschwunden.
    An Sommerabenden gestattete ich ihr, mich zu sanfteren Tätigkeiten zu verführen. Wir gingen im Regent’s Park spazieren – für uns beide ein zweites Zuhause –, nicht Hand in Hand, nicht wie Verliebte, sondern wie alte Freunde, die sich gegenseitig auf dem Laufenden hielten. Wir setzten uns auf eine Bank und schauten den Enten zu, wir bestimmten Blumen, wir lernten die Männer kennen, die die Vögel fütterten, den Sikh mit seinem schwarzen Müllbeutel voller Brotkrümel, den Eichhörnchenmann, der seine Hand ausstreckte wie eine Vogelscheuche und den Eichhörnchen die mitgebrachten Nüsse zeigte, die sie sich nach einem hastigen vergewissernden Blick von ihm holten, als wäre er ein Baum. Mit zärtlichem Wohlwollen beobachteten wir andere Pärchen, als wären wir selbst über all das hinaus und erkennten uns in ihnen wieder. Manchmal richtete ich es so ein, dass ich hinter Marisa ging – blieb stehen, um einen Schnürsenkel zu binden oder Papier in einen Abfalleimer zu werfen –, damit ich ihre kraftvollen Beine bewundern und mich einen Moment lang allein meiner Verzückung hingeben konnte. Offen zeigte ich dagegen meine Gefühle nicht und drängte mich ihr auch nicht auf.
    Diese Rolle

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