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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Während er schlief, blätterte ich in dem Roman und suchte nach den beiden Namen, was sich als wenig schwierig erwies, da viele Stellen, an denen sie auftauchten, angestrichen waren. Ihr Abenteuer, wenn man es so nennen kann, schien mir lediglich die Variante eines Handlungsstrangs aus einem Shakespeare-Stück zu sein, das wir in der Schule gelesen hatten – ein Mann fordert einen anderen Mann auf, die Treue der Frau, die er liebt, auf die Probe zu stellen, mit tragischem oder beinahe tragischem Ausgang. Nach den Fußnoten in meiner Arden-Ausgabe der Shakespeare-Werke war der »Treuetest« ein beliebtes Motiv in italienischen Novellen des Mittelalters, bei denen sich auch Cervantes bedient hatte. Ich war noch zu jung für jedes gesicherte Wissen, doch irgendetwas sagte mir, dass ein Treuetest wohl eher ein literarisches Mittel war und keine Strategie, auf die man im wirklichen Leben zurückgriff. Allerdings konnte es nur deswegen so häufig auftauchen, weil es etwas im wirklichen Leben thematisierte, das vielen Männern tatsächlich ein Grund zur Sorge war: der Charakter ihrer Frauen, wenn sie einer überwältigenden Versuchung unterworfen waren. Denn worin besteht der Verdienst, gibt sie sich tugendhaft, wie Anselmo zu Lotario sagt, »wenn niemand sie dazu verführt, die Tugend aufzugeben? Ist es nicht einerlei, ob sie verhalten ist und vorsichtig, gibt man ihr keine Gelegenheit, fremdzugehen?« Eine Befürchtung, schien mir, die, gibt man ihr einmal nach, unweigerlich eine Neugier provoziert, die nie wieder zu stillen ist. Warum sollte Anselmo bei Lotario aufhören, mochte sich Anselmos Frau als noch so treu erweisen? Es wäre unlogisch. Träfe man nicht immer wieder auf Lotarios, die noch verführerischer wären als die vorangegangenen? Gäbe es nicht immer eine noch bessere Gelegenheit zur Untreue als die erste?
    Victor wachte auf, als ich eine Seite umblätterte. »Ah«, sagte er, denn er hatte gesehen, um welche Seite es sich handelte.
    *
    Joyce Gowan kam während der ganzen Zeit nicht aus ihrem Zimmer hervor. Am letzten Abend, nachdem Victor und ich allein in der Küche ein kaltes Abendessen zu uns genommen hatten, machte er den Vorschlag, ich sollte ihn nach oben begleiten, wenn er seiner Frau einen Schlummertrunk brachte. Umgehend ergriff mich panische Angst. Sollte ich die Rolle des Lotario übernehmen, mit ihm als Anselmo? War das Sinn und Zweck des ganzen Wochenendes gewesen? Mich darauf einzustimmen, die Tugend einer alten kranken Frau auf die Probe zu stellen, indem ich mit ihr schlief? Hatte vielleicht sogar mein Vater an diesem Komplott mitgewirkt? Zugetraut hätte ich es ihm. Er gehörte zu der Sorte Männer, die meinten, die weltliche Erziehung ihrer Söhne zu fördern, indem sie sie mit in ein Bordell nahmen, um sich ihre erste Syphilis einzufangen. Selbstverständlich ein Bordell in London, wo sie von einem örtlichen Arzt behandelt werden konnten, statt in Abu Dhabi, wo die medizinische Versorgung lückenhaft war. So weit allerdings war mein Vater bisher nicht gegangen. Vielleicht war meine Person sogar Bestandteil einer geschäftlichen Vereinbarung zwischen den beiden Männern, nach der Victor als Gegenleistung für die Dienste seiner Gattin einige seiner Bücher zurückverlangen durfte, oder mein Vater als Gegenleistung für meine Dienste auch noch die Restbestände von Victors Bibliothek in seinen Besitz bringen konnte. Es hing ganz davon ab, wie man den Gefallen kalkulierte.
    Ich sagte, dass mich panische Angst ergriff, doch war sie nicht ganz frei von Verlangen. Beides ist bei mir kaum voneinander zu trennen. Wenn ich an die Kranke in ihrem Bett dachte, wenn ich daran dachte, was sie oder ihr Mann oder sogar mein Vater möglicherweise von mir erwarteten, wurde mir schwindlig vor Widerwillen und Vorahnungen; doch wenn ich an den Russell-Flint-Akt dachte, den Striptease hinterm Vorhangstoff, die geröteten Brüste auf dem Salongemälde, den verschmierten Lippenstift auf dem Foto von Joyce, in trinkfreudiger Runde von Dichtern und Malern mit lockerer Moral in Fitzrovia, wurde mir schwindlig vor Verlangen. Ich war noch Jungfrau. Was immer mir widerfahren würde, es wäre zum ersten Mal. Was immer ich zu tun hatte, ich wusste nicht, ob ich es können würde.
    Ich folgte Victor die Treppe hinauf nach oben. Er trug ein Tablett mit einer Flasche Portwein und drei Gläsern. Joyce Gowans

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