Liebesdienst
mir schon damals und bis heute unerfindlichen Gründen wünschte ich mir, im Alter auch so auszusehen wie er: der Welt etwas überdrüssig. Der Mühsal etwas überdrüssig, so einen groÃen Kopf mit sich herumtragen zu müssen. Und behaftet mit einem geheimen Kummer, der auch Quelle unerklärlicher Befriedigung war.
Mrs Gowan lernte ich an meinem ersten Abend in Cookham nicht kennen. Eigentlich habe sie uns begrüÃen wollen, erklärte Victor, aber sie sei nicht wohlauf genug, mich zu sprechen. Das Haus war still, erfüllt von der Stille einer Frau, die nicht in der Lage war, Besuch zu empfangen. Alles war aufgeräumt und ordentlich, die Vorhänge stramm zugezogen, was die Vermutung nahelegte, dass sie schon seit Langem nicht mehr geöffnet worden waren. Auf den Möbeln lag eine zarte Staubschicht, in den Vasen standen nicht mehr ganz taufrische Blumen, alles verströmte den Ruch einer bedrückenden Unbenutztheit.
In anderer Hinsicht jedoch war Joyce Gowan allgegenwärtig. Ãberall standen Fotos von ihr, Joyce als kleines Mädchen, lachend, zusammen mit anderen kleinen Mädchen, schon damals ein entzückender Anblick, dunkel, ernst und gescheit; Joyce, meisterlich ihr Pony ausreitend; Joyce als junge Frau in einem Londoner Pub, umringt von Dichtern, mit verschmiertem Lippenstift; Joyce als frischgebackene Mrs Gowan wie eine Statue im Hochzeitskleid, den Kopf nach hinten geworfen, auf einem langen Schwanenhals; Joyce, die Biografin der wilden Zeiten, die bei Foyles eines ihrer Bücher signiert, den Leser, dem die Widmung gilt, mit ihrem strahlenden Lächeln bezaubert â Joyce, Joyce, Joyce. Im Wohnzimmer ein ausladendes Salongemälde, Joyce auf dem Höhepunkt ihres Lebens, die Hände, ein schwarzer Fächer in der einen, im Schoà gefaltet; in den Augen ein verträumter Ausdruck. Im Treppenhaus ein etwas plumperer Ãlschinken, der sie in einem tief ausgeschnittenen Abendkleid zeigte, die Brüste stärker aufgerötet, als jeder seriöse Künstler sie gemalt hätte, zu ihren FüÃen ein Hund, der überdeutlich für männliche Betörung stand. In dem Badezimmer schlieÃlich, das mir zugeteilt wurde, eine frivole Sepiazeichnung von Russell Flint, eine nackte Frau, mit dem Vorhangstoff tanzend; sie entsprach nicht in allen Zügen genau Joyce Gowan, dazu war das Pin-up zu stilisiert und ihr zu wenig ähnlich, wenn man bedenkt, wie sie sich sonst von Künstlern darstellen lieà â aber wenn es sich nicht um Joyce handelte, warum hing das Bild dann hier? Und wenn es Joyce sein sollte, warum durfte ich es dann sehen?
Vielleicht wegen ihrer Schönheit, weswegen sonst? Wegen der Schönheit, die sie einmal gewesen war.
Victor lud mich in einen Pub ein, wir aÃen Brathähnchen, und er stellte mir Fragen über meine Person, meinen Vater, wie nah ich ihm stünde, und meine Lektüre, welche Bücher ich gerne läse. Er selbst las Don Quichotte zum x-ten Mal und fragte mich, ob ich es kennen würde. Ich sagte, ich hätte es x-mal angefangen, aber sei nie weit gekommen. Immer an der Stelle, wo der Roman von seiner eigenen Erzählung abweicht und Geschichten einflicht, die streng genommen nicht dazugehörten, hätte ich das Interesse verloren. »Zum Beispiel die Geschichte von Anselmo und Lotario«, sagte er. Ich glaube, bis zu Anselmo und Lotario sei ich gar nicht gekommen, sagte ich. »Ach so«, sagte er. »Sollten Sie aber.«
Am nächsten Morgen machten wir uns auf zum Rudern, wie er versprochen hatte, entfernten uns aber kaum vom Ufer. Danach gingen wir Mittag essen, diesmal in einem anderen Pub, sahen uns in dem kleinen Dorfmuseum, das Stanley Spencers Werk gewidmet war, einige seiner Bilder an â nichts, was ich als unerhört oder gar sinnlich empfunden hätte â und fuhren zum Tee wieder nach Hause. Das Wetter war schön, und so konnten wir drauÃen auf dem Rasen sitzen und anderen Ruderern, die kräftiger waren als wir, dabei zuschauen, wie sie sich die Themse auf und ab in die Riemen legten. Durch die Bäume wehte ein sanfter Wind. Am Himmel zogen in stiller Folge cremefarbene Wolken dahin. Und Mrs Gowan war wieder unpässlich.
Gegen vier Uhr nickte mein Gastgeber in seinem Sessel ein. Im Gras neben ihm lag der Don Quichotte, den er vermutlich mit nach drauÃen genommen hatte, um mir einen Auszug aus der Geschichte von Anselmo und Lotario vorzulesen.
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