Liebesdienst
der Alchemie der Liebe sich in sein eigenes Entsetzen zurückzieht, vermag Kandaules das drängende Verlangen nicht mehr zurückzuhalten, sodass es überflieÃt und zu etwas wird, das Philanthropie zu nennen nicht zu weit hergeholt scheint.
Vom ersten Satz der herodotschen Erzählung an erscheint Kandaules als seiner Frau treu ergeben, weit über das übliche Maà bei Männern hinaus.
Dieser Kandaules war nun ungemein in sein eigenes Weib verliebt, und weil er so verliebt war, glaubte er auch, das schönste Weib unter allen zu besitzen; in diesem Glauben nun â¦
⦠in diesem Glauben nun verfiel er auf den Plan, Gyges solle von einem Versteck aus heimlich der Königin beim Entkleiden für die Nacht zuschauen.
Ist nicht allein die Vorstellung, dass sich ein Mann leidenschaftlich in seine eigene Frau verliebt, faszinierend? Wir müssen davon ausgehen, dass Männer im Königreich Lydien weder ihre Frauen aus Liebe heirateten, noch dass sich nach der Heirat Liebe einstellte â warum würde sonst das Gegenteil besonders betont? Die Geschichte ist also in erster Linie eine Liebesgeschichte. Zunächst die seltene und unerwartete Liebe, die König Kandaules seiner Frau entgegenbringt, dann die Ãberzeugung, ihre Schönheit sei überragend, und schlieÃlich der Wunsch, diese Schönheit möge auch von anderen wahrgenommen werden. Meiner Meinung nach eine unüberbietbare Steigerung.
Erst wenn man sich fragt, warum König Kandaules sich nicht damit zufriedengibt, Gyges die Königin im bekleideten Zustand sehen zu lassen, bekommt man eine Ahnung von der Unbedingtheit seiner Passion.
»Es war die Vollkommenheit ihrer Schönheit, die mich an meiner Frau so angezogen hat«, hätte er, in welchem Kreis der Hölle für Liebhaber er auch schmorte, geantwortet. »Nicht die Farbe ihrer Augen, nicht die Kurven ihres Halses, sondern die Gesamtheit aller Teile, ihre Harmonie. Und an dieser Harmonie, wie unschwer zu erkennen ist, kann man nur seine Freude haben, wenn sie sich nackt darbietet.«
Erst wenn man sich fragt, warum er sich nicht damit zufriedengibt, das Allumfassende dieser Schönheit allein zu genieÃen, berührt man das Wesen nicht nur der romantischen Liebe in einer ihrer extremen Ausprägungen, sondern von Kunst überhaupt.
»Der Instinkt, das, was wir schön finden, mit anderen zu teilen«, würde er fortfahren, »ist tief in uns verhaftet. Bilder, an denen uns gelegen ist, hängen wir an die Wände, damit nicht nur wir alleine, sondern auch andere sie betrachten. Der Künstler, der seine Werke in einer Gruft versteckt, enthält der Welt ein Vergnügen vor, manche würden so weit gehen und sagen, einen Anspruch. Ich kann der Welt diesen Anspruch nicht versagen, auch wenn ich mein Königreich und mein Leben dabei verliere.«
Bevor Gyges Kandaulesâ hitziger Ãberzeugungskraft erliegt, bringt er die üblichen Einwände vor: »Wenn eine Frau ihre Tunika ablegt, Herr, entledigt sie sich damit auch ihrer Keuschheit.«
Eine Feststellung, die Herodot persönlich untermauert: »Unter den Lydiern, wie auch unter den meisten anderen Barbaren, gilt es nämlich selbst für einen Mann als Schmach, nackt gesehen zu werden.«
Ein Mann jedoch, der vor Liebe so verrückt ist wie Kandaules, und der die Torheit besessen hat, sich in seine eigene Frau zu verlieben, ein Mann, der ihren nackten Körper viel zu schön findet, um ihn sich ganz allein anzuschauen, ein solcher Mann kann Schmach nur herausfordern. Je gröÃer die Kränkung für eine Lydierin, nackt gesehen zu werden, umso gröÃer für Kandaules die Notwendigkeit, die Kränkung herbeizuführen.
Ich billige das nicht. Ich erzittere nur vor dem, was es einem abverlangt, das ist alles.
Eigentlich ist die Geschichte erst vorbei, wenn die Königin entdeckt, was passiert ist, und Gyges vor das schreckliche Ultimatum stellt â Kandaules zu töten oder selbst zu Tode zu kommen. Für mich jedoch ist sie in dem Moment vorbei, in dem Gyges erkennt, wie recht Kandaules darin tat, die Schönheit seiner Gattin so hoch zu schätzen. Für diejenigen, die eine Moral brauchen: Die Moral steht auf der Seite der Schamhaftigkeit. Für mich jedoch ist es keine warnende Fabel über Schamlosigkeit. Für mich ist es eine Tragödie. Was soll ein Mann denn anderes tun, wenn die Schönheit seiner Frau so groÃ
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