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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Schlafzimmertür war geschlossen. Ihr Mann hielt inne, legte ein Ohr an die Tür und stieß sie dann auf. Der Raum lag im Halbdunkel, nur eine kleine Glühbirne brannte, nicht an ihrem Bett, sondern in einem entlegenen Winkel des Raums. Ich meinte den Geruch von Medikamenten wahrzunehmen, aber gut möglich, dass ich ihn von unten mitgebracht hatte, als Anhaftung meiner Vorahnung.
    Â»Ich weiß nicht, ob sie noch wach ist«, flüsterte Victor.
    Ich stand mit einem Fuß im Schafzimmer, mit dem anderen auf der Türschwelle. In der Dunkelheit konnte ich nur Schatten ausmachen, die Silhouette eines Fensters, durch die einige schmale, diagonal verlaufende zitrusgelbe Lichtbalken aus dem Garten fielen, den Umriss eines Stuhls, ein Bett, aber nicht die darin liegende Person.
    Â»Sie können hereinkommen«, sagte Victor, wieder im Flüsterton.
    Mir fehlte der Mut einzutreten. Ich war dazu erzogen, die Intimsphäre des Zimmers einer Frau zu respektieren. Als kleines Kind muss ich meine Mutter wohl in ihrem Bett liegen gesehen haben, später jedoch habe ich sie nie in ihrem Zimmer aufgesucht, und im Bett liegen sah ich sie nie wieder, außer als sie starb. Mein Vater wurde vermutlich auch nicht in ihr Zimmer gelassen. Das Schlafzimmer einer Frau war ein ehrfurchtgebietender und gefürchteter Ort. Ich wusste nicht, was darin geschah, nur, dass Frauen dort weinten. Dies jedoch war kein Boudoir, das einer gesunden, wenn auch verbitterten Frau geweiht war, es war ein Gemach der Gebrechlichkeit und des Verfalls. Weiß Gott, gegen was ich stoßen würde und was ich in meiner Angst umwerfen würde, wenn ich Victors Vorschlag folgte. Ich verharrte im Türrahmen.
    Plötzlich brannte Licht. »Da«, sagte Victor.
    Es war kein strahlendes Licht, aber hell genug, um mehr zu erkennen als nur die gefüllten Umrisse eines Bettes, und dann, ja, dann die Gestalt von Joyce Gowan darauf auszumachen, die noch schlief oder scheinbar noch schlief, nicht verdeckt durch Betttücher, ja, überhaupt nicht zugedeckt, sondern drapiert, wie ein Maler vom Schlage eines Russell Flint sie drapiert hätte, als Anreiz für den Käufer, nicht auf dem Rücken, aber auch nicht auf der Seite liegend, das Nachthemd gerafft, wie durch eine unabsichtliche Bewegung im Schlaf die Kurven von Schenkel und Gesäß freigebend – schlank und silbrig glänzend im Halblicht –, und mit der gleichen arrangierten Unordnung der Zufälligkeit auch von der Schulter gefallen, ihre hervorquellenden Brüste präsentierend, nur im Profil, nicht in der erstaunlichen Fülle und Frontalansicht wie auf dem Ölgemälde im Treppenhaus und nicht mit dem gleichen Augenmerk auf das Rouge (es sei denn, die Blässe wäre nur der Beleuchtung geschuldet), sondern, so schien mir, als zarte Andeutung statt dreister Zurschaustellung und daher umso begehrenswerter.
    Mochte ihre Pose kunstvoll oder geschmacklos sein, Mrs Gowan hätte einen Weg in das Herz eines jeden Mannes gefunden, erst recht in das eines verschreckten Knaben. Unmöglich, sich nicht vorzustellen, wie es wäre, wenn man sie umdrehte und in seine Arme schlösse. Lag es daran, dass ihre Gliedmaßen wirklich schlank waren, oder waren sie hinfällig? Lag es daran, dass sie sich trotz Krankheit ihre Schönheit bewahrt hatte, oder hatte die Krankheit, dank ausgeklügelter Beleuchtung, etwas Schönes an sich? Ich wusste es nicht. Woher auch? Dazu war ich viel zu jung.
    Â»Treten Sie doch näher«, sagte Victor, aber ich konnte es nicht.
    Ich wollte hinschauen, aber ich konnte nicht. Alle Gedanken daran, was folgen würde oder was folgen sollte, verflüchtigten sich. Es gab kein Richtig und kein Falsch bei dem, was als Nächstes kam, weil es kein Nächstes geben konnte. Schon das hier war verkehrt. Wer immer der Anstifter war – ich selbst schloss mich von keiner Schuld aus, denn auch Begehren stiftet an –, hier handelte es sich um die unentschuldbare Ausnutzung der Hilflosigkeit einer Frau. Sie war krank. Der habgierige Blick eines Mannes auf den weiblichen Körper nimmt sich jede Freiheit heraus und duldet kein tatsächliches oder moralisches Hindernis. Joyce Gowans Krankheit allerdings war ein Hindernis, das ich nicht überwinden konnte. Auch wenn man ihrer wundervollen Figur überhaupt nicht ansah, dass sie krank war. Auch wenn sie trotz ihrer Krankheit begehrenswert war, was sie nur noch

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