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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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begehrenswerter machte. Und auch wenn sie eine Frau war, die ihr Leben lang wegen ihrer Schönheit bewundert worden war und vielleicht auch weiterhin bewundert werden wollte, ganz gleich wie alt oder krank sie war. Ich war mir auch sicher, dazu hatte ich genug Zeit mit Victor verbracht, dass es seine Idee gewesen war und nicht die seiner Frau, mich hier herzubringen; dass er es war, der in einem Akt verzweifelter Liebe sie noch einmal zur Schau stellen wollte, einem jungen Mann, der solche Schönheit niemals zuvor erblickt haben konnte; und dass, ganz egal, ob sie bereitwillig mitgespielt hatte oder nicht, sein Wille – besser gesagt, sein Bedürfnis – sich durchgesetzt hatte. Doch es spielte keine Rolle, für wen ich hier hergebracht worden war. Ich wollte auch selbst hinschauen, aber ich tat es nicht. Das Verlangen löste sich in Traurigkeit auf.
    Â»Ich gehe jetzt nach unten«, teilte ich Victor mit.
    *
    Wenige Tage nach meiner Rückkehr nach London erhielt ich ein Paket von Victor mit einem erklärenden und entschuldigenden Begleitbrief. »Was müssen Sie von mir denken? Ich kann es mir kaum vorstellen«, schrieb er, obwohl die Entschuldigung nur bewies, dass er es sich sehr wohl vorstellen konnte. »Ich bitte Sie inständig – doch welches Recht habe ich, überhaupt um etwas zu bitten? Ich hatte nichts Böses mit Ihnen im Sinn. Mir ist jetzt klar, wie sehr die Geschichte von Cervantes Sie hellhörig gemacht haben muss. Glauben Sie mir, ich habe nie daran gedacht, Sie mit einem solchen Auftrag wie den an Lotario zu betrauen. Ihre Jugend hätte mich von einem solchen Vorhaben abgehalten, aber ich habe nie an Joyce gezweifelt und habe natürlich jetzt, tragischerweise, allen Grund, nicht an ihr zu zweifeln. Ich habe keine Erklärung, was mich dazu gebracht hat, diese Geschichte hervorzukramen. Wenn Ihre Antwort lautet, ich hätte sie aus dem Unterbewusstsein hervorgekramt, kann ich dazu nichts sagen, denn mein Unterbewusstsein ist mir notgedrungen nicht bekannt. Doch ich bitte Sie, meine Situation – denn ich gestehe, ja, es ist eine ›Situation‹ – nicht in diesem finsteren Licht zu betrachten. Nicht um Vergebung, nur um Verständnis werbend, füge ich, als eine Art Korrektiv, ein Päckchen bei. Ich glaube, es ist ein wahrhaftigerer Ausdruck der Hochachtung, die ich Ihnen entgegenbringe, und der Liebe, die ich für meine Frau empfinde.«
    In dem beigefügten Päckchen befand sich ein in Kalbsleder gebundener Faksimiledruck der ersten Ausgabe von Herodots Historien von 1502, in der original griechischen Fassung. Das Lesezeichen lag an dem Abschnitt, in dem Kandaules, König von Lydien, von der Liebe zu seiner eigenen Frau ganz verwirrt, mit einem anderen Mann, Gyges – einem geachteten Untergebenen, dennoch einem Untergebenen –, vereinbart, er solle sie heimlich beobachten, wenn sie nackt wäre. Die Königin, der Herodot keinen Namen gegeben hat, entdeckt den Voyeur und ist außer sich über die Freiheit, die er sich ihr gegenüber herausnimmt. Sie stellt Gyges vor eine grausame Wahl: Entweder bezahlt er für den verbotenen Anblick mit dem Leben, oder er bringt ihren Gatten um und folgt ihm als König von Lydien auf den Thron.
    Da er nicht wusste, wie es um meine Griechischkenntnisse stand, hatte Victor eine Übersetzung der berühmten Erzählung beigelegt, obwohl er sich in Anbetracht meiner für mein Alter erstaunlichen Belesenheit sicher sei, dass ich sie nicht brauchte. Ich sage berühmt, aber eigentlich sind Gyges und Kandaules und ihre gemeinsame Geschichte nur klassisch Gebildeten bekannt und solchen Menschen meiner Provenienz, für die sie, trotz des traurigen Ausgangs, den Status eines Gründungsmythos besitzt.
    So kann ich heute darüber reden, damals jedoch überstieg es meinen Horizont. Ich konnte altklug daherreden, aber ich hatte erst ein einziges Mal ein Mädchen geküsst; die feinen Unterschiede zu erkennen in der Kunst, wie man seine Gattin an den Mann bringt, war zu viel verlangt. Heute, nachdem viel Wasser die Themse hinuntergeflossen ist, weiß ich, was Victor mir begreiflich machen wollte: Es gibt eine tiefe Kluft zwischen den alltäglichen Qualen, die ein eifersüchtiger Ehemann erleidet, und jenem Verlangen, das so überwältigend ist, dass man es mit anderen teilen möchte. Liebe ist der Nährboden für beides, doch während Anselmo gemäß

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