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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Gnadenfrist gewährt wurde.
    Und dann, so plötzlich, wie es begonnen hatte, hörte es wieder auf. Es war, als hätten wir uns zum letzten Mal am Schafott umarmt, und jetzt musste es einer von uns besteigen.
    Noch ehe der Weidenbaum in voller Blüte stand, hatte Marisa einen Liebhaber.
    Woher ich das wusste? So etwas weiß man eben. Man kann nicht ein und alles füreinander sein, so wie wir, und dann noch einen Dritten hinzulassen, ohne dass der andere es merkt.
    In den Augen eines Außenstehenden dürften wir immer noch dieselben gewesen sein: ein heftig verliebtes Paar, ohne Platz zwischen sich, der einzige Fehler – wenn man es einen Fehler nennen kann – unsere Nähe zueinander. Nichts an Marisas Erscheinung, ihrer Kleidung und ihrem Auftreten deutete darauf hin, dass sich ihr Leben auch nur minimal verändert haben könnte. Ich habe Männer erlebt, die blind gegenüber der Untreue ihrer Frau waren, während alle Welt mit grausamer Belustigung beobachtete, dass ihre Röcke kürzer wurden, ihre Absätze gewagter, ihr Dekolleté tiefer, ihre Fingernägel länger, ihre Lippen voller und durchbluteter. Zu dieser Sorte Frauen gehörte Marisa nicht. Weder war sie in der Zeit, als sie Freddy betrog, von irgendeiner ihrer Gewohnheiten oder gar ihrem Selbstbild abgerückt, noch war sie jetzt, da sie mich betrog, ein anderer Mensch als vorher.
    Was also sah ich, was andere nicht sahen?
    Den Anfang machte ein neues Mitgefühl für mich. Eine bedauernde Miene, die auf ihr Gesicht trat, als fürchtete sie sich vor dem, was die Zukunft für mich bereithielt – eine Vorahnung meiner Einsamkeit. Sie trat nicht auf, wenn wir alleine waren, sondern in Menschenansammlungen jeglicher Art, immer wenn sich unsere Blicke trafen, von den zwei entlegensten Punkten eines Raums, gegenübersitzend bei Tischgesellschaften oder wenn wir uns in einer belebten Straße zum zweiten Mal zum Abschied zuwinkten. An einem sonnigen Nachmittag im Garten ihrer Halbschwester Flops in Richmond, während Flops’ unerträgliche rotblonde Kinder um uns herumtollten – keine Züge von Rowlie in ihrer Nachkommenschaft, Rowlies Gene durch Flops’ bittere Schärfe ausgelöscht –, fixierte Marisa mich durch die Grillschwaden hindurch mit einem langen Blick dermaßen melancholischen Bedauerns, dass ich an mich halten musste, um nicht in Tränen auszubrechen. Auch ihr Ton mir gegenüber veränderte sich mit jedem Tag. Niemandem wäre es aufgefallen, aber ich ging ganz in Marisas Stimme auf, so wie ein Kind in der Stimme seiner Mutter. Die Veränderung, die ich ausmachte, war die: Ihr Ton wurde bedauernd, passend zu ihrer bedauernden Miene, aus der ich die Herabsetzung meines Status als geliebte Person von vollwertigem Ehemann zum Nur-Kind herauslas. Alles in allem schuldete sie mir als Ehefrau keine Erklärung; als Ehemann war ich selbst Gestalter meines Schicksals. Doch im Rahmen ihrer Fürsorge, ihrer sozusagen elterlichen Fürsorge, war sie bereit, Pflichtvergessenheit einzuräumen. Eine Bereitschaft, die einen, wenn auch noch leisen Gegenvorwurf beinhaltete: Wenn sie nicht für mich zu sorgen vermochte, wer sorgte dann für sie?
    Das hörte ich aus der neuen Musik ihrer Zärtlichkeit mir gegenüber vor allem heraus: die traurige und unerwartete Schlussfolgerung aus unserer Vereinbarung, dass, wenn der Ehemann seine Verantwortung für den Schutz der Frau aufgibt, jemand anders seinen Platz einnehmen muss.
    Und so war es geschehen.
    Trotz aller ausgeklügelter Vorsichtsmaßnahmen seitens Marisas wurde ich schließlich doch der Existenz ihres Liebhabers gewärtig: ein unsichtbarer, aber spürbarer Ersatz am anderen Ende von Marisas ständig besetzter Leitung, am Ziel von Marisas allzu häufigen Taxifahrten. Eines Abends, als wir ins Theater wollten, die Zeit knapp und sie nervös war, weil sie die Karten verlegt hatte, benutzte sie einen Kosenamen, den ich noch nie gehört hatte. Als wir das Haus verließen, beruhigte sie mich, es sei ein Name, den sie Freddy gegeben habe. Ohne ihn anzurufen, was nicht infrage kam, besaß ich keine Möglichkeit, die Wahrheit zu überprüfen. Ihr schien es allerdings egal zu sein, ob ich ihr glaubte oder nicht. Immer wenn früher eine Unstimmigkeit zwischen uns geherrscht hatte, bevor wir unsere Plätze einnahmen, hatte Marisa mir während der Vorstellung kurz, mit

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