Liebesdienst
leichtem Druck, die Hand aufs Knie gelegt. An diesem Abend lieà sie die Hände fest gefaltet auf ihrem SchoÃ.
Hätte mich jemand gefragt, noch in der Pause, wovon das Stück handelte, ich hätte es ihm nicht beantworten können. Perfidie, hätte ich geraten. Wovon handeln Theaterstücke sonst?
Drei, vier Wochen nach diesem Kälteschock im Theater fand ich auf dem Sofatisch in unserem Wohnzimmer einen teuren Füllfederhalter, den ich nicht kannte. »Hast du Gäste gehabt?«, fragte ich Marisa. »Nein. Wieso?«, erwiderte sie, ohne von ihrem Buch aufzusehen. An diesem Abend wandte sie den Kopf zur Seite, als ich sie auf den Mund küssen wollte.
Bis dahin hatte es Raum für Zweifel gegeben, doch jetzt schrillte mir die Gewissheit in den Ohren. Ein Liebhaber. Marisa hat sich einen Liebhaber zugelegt.
Der Ausdruck war mir wichtig. Marisa hatte keinen Lover, Marisa hatte sich einen Liebhaber zugelegt.
Hatte ich mir vorgestellt, ich würde in orgiastische Raserei verfallen, wenn es so weit wäre? Nein. Ich hatte es, richtigerweise, als einen Eventualfall des Schreckens antizipiert, ähnlich dem Fall, dass man mitten in der Nacht Lärm im Haus hört, nach unten geht und tatsächlich entdeckt, dass ein Fremder die Wohnung plündert. Ich hatte nur nicht geahnt, wie verheerend das Eintreten des Befürchteten sein würde. Als Marisa mir ihre Lippen versagte, zitterte ich vor Angst. Ein Balken schien sich über meine Brust zu legen. Mein verschmähter Mund wurde trocken. Hätte mir jemand die Kehle durchtrennt, oder hätte ich mir â was passender gewesen wäre â die Pulsadern aufgeschnitten, statt Blut wäre Eiswasser ausgetreten.
Ein Liebhaber. Ein Liebhaber, so wie ich einst ihr Liebhaber gewesen war â und derjenige, der seiner späteren Ehefrau zunächst als Liebhaber gedient hat, weià am besten, zu welch trügerischer Ãbertragung der Gefühle diese Frau fähig ist, ohne sich auch nur mit der geringsten Bewegung eines Muskels oder einem einzelnen abstehenden Haar zu verraten.
Ich hatte es so gewollt, und jetzt war er da, der verwundende Zweifel, der kein Zweifel mehr war, sondern die Wunde selbst, das Loch im Herzen; und ich war verzweifelt.
Dennoch, im Zentrum meiner Verzweiflung, geballt wie eine Babyfaust, lag das Versprechen ungeheurer, grausiger, künftiger Wonnen, nicht wenn ich ruhig blieb, denn ruhig würde ich nie sein können, sondern wenn ich endlich gelernt haben würde, alle meine Ãngste als mein Schicksal anzunehmen.
Also gut, ich würde lernen, ich würde annehmen. Ein Liebhaber. Ein Liebhaber. Wie ein Zelebrant einer grausamen Religion der Selbstquälerei inhalierte ich den Weihrauch der Täuschung und psalmodierte die ruchlosen Worte: Sie hat einen Liebhaber. Sie hat einen Liebhaber. Meine Frau Marisa hat sich einen Liebhaber zugelegt .
Ein Liebhaber â jetzt sprich es schon aus, Felix â, für den sie ihre Lippen rein hält.
Als ich, viele Monate nach diesem Vorfall, durch einen, wie mir schien, Anstieg unseres ehelichen Stimmungsbarometers ermutigt â nicht zu vergessen, ich nahm mit einer Skala höchster Genauigkeit MaÃ, die anderen Männern unbekannt war â, meine Lippen spitzte, um Marisa zu küssen, und nicht abgewiesen wurde, zog ich die einzig rationale Schlussfolgerung: Liebhaber. Liebhaber im Plural. Zu viele mittlerweile, um sich zu merken, für wen sie ihre Lippen rein hielt. So wie Zelda Fitzgerald, die mit ihrer Prahlerei, sie hätte Tausende Männer geküsst und beabsichtige, noch mal Tausende zu küssen, ihren Mann zur Raserei gebracht hatte. Nur war es bei Zelda das Draufgängertum der Verwöhnten, der Südstaaten, des Jazz-Zeitalters, wohingegen bei Marisa ⦠Marisa war ein reflektierter Mensch, kein sprunghaftes Wesen, weder körperlich noch geistig, eine Frau, die die Bedeutung ihrer Handlungen abwog, die nichts leichtfertig anstellte, weswegen die Folgen ihrer Küsse nur furchtbar sein konnten.
*
Die interessante und zweifellos geschmacklose Frage lautet nun: Stimulierte mich die Kränkung, dass Marisa sich mehrere Liebhaber zulegte, noch stärker, als wenn es nur einer gewesen wäre?
Ja und nein. Ich will nicht ausweichen. Mit jedem Tag, an dem ich mit der Frage aufwachte, fiel die Antwort anders aus, und seit Marisas Untreue das Muster unseres Lebens geworden war, wachte ich nie mehr ohne diese Frage
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