Liebesdienst
er nicht wieder auf, um sein Praktikum fortzusetzen. Er schrieb uns eine Karte, dankte für die Gastfreundschaft und die Gespräche â das Wort Gespräche unterstrichen, aus einem Grund, den wohl nur Marisa verstand â und schickte einen Freund vorbei, der noch weit weniger vertrauenswürdig wirkte als er, mit dem Auftrag, was von seinen Siebensachen im Haus noch herumlag, Toys, vermute ich mal, abzuholen und den Schlüssel zurückzugeben. Ende der Geschichte. Marisa erwähnte ihn nicht mehr, ich ebenfalls nicht. Unsere Gespräche schlossen ihn aus, und genauso schlossen sie den gefährlichen Ausbruch von Offenheit aus, den er ausgelöst hatte. Seinen verdächtigen Sturz unsere grandiose Treppe hinunter hatte es nicht gegeben; ich hatte Marisa nicht gebeten, ihn im Krankenwagen zu begleiten und seine Hand zu halten, und Marisa hatte zu mir nicht gesagt, was sie gesagt hatte.
Wir hielten uns gut. Wir leugneten einfach alles voreinander, und deswegen war nichts davon passiert.
Doch was immer wir uns vormachten, unser kostbarer Pakt stillschweigender Ãbereinkunft war gebrochen.
Und mit ihm zerbrach der noch kostbarere Schein, der verwundende Zweifel, in dem ich lebte, wäre kein Fantasiegebilde meines gestörten Hirns, sondern eine Reaktion auf etwas Tatsächliches â Marisas verwundende, verheimlichte Seitensprünge.
Wenn meine Liebste mir schwor, sie sei untreu, glaubte ich ihr, obwohl ich wusste, dass sie log.
Damit war es jetzt vorbei.
Jetzt musste Marisa mir wirklich untreu werden.
Die moralische Logik dahinter ist nicht einfach zu erklären, aber wir hatten beide das Gefühl, dass es so sein musste. Es war, als akzeptierten wir die Notwendigkeit, uns eine philosophische Ebene tiefer zu begeben, von der Schönheit der Abstraktion hin zur Hässlichkeit der Tat, und würden uns von jetzt an weniger zart anfassen. Nicht, weil Marisa mich bestrafen musste, sie war vom Wesen her weder strafend noch rachsüchtig, sondern weil es für uns keinen anderen Weg gab.
So wie sie sich fortan verhielt, hätte sie sich zweifellos nicht verhalten, wenn nicht auch eine Abenteurerin in ihr gesteckt hätte, mit einem ausgeprägten Hang, Dinge zu verschleiern. Aber es war nicht allein die Abenteurerin in ihr. Was sie tat, machte sie, weil sie mich liebte. Ihre Vorläuferin ist in meinen Augen nicht Guinevere, Messalina oder Moll Flanders, weder Sacher-Masochs pelzumschlungene Wanda noch eine der freizügigen Frauen in de Sades 120 Tagen von Sodom, sondern die äuÃerst schickliche Mrs Bulstrode aus Middlemarch , die treu zu ihrem entehrten Ehemann steht. Gute Ehefrauen tun das. Sie schultern unsere Last, sie nehmen sich unserer Kümmernisse an. Ich hatte meine Ehre nicht verloren, aber ich trug auch nicht schwer an moralischen Meriten. Mrs Bulstrode legte ihren Schmuck ab und zog ein schlichtes schwarzes Kleid an, Marisa zog sich die Lippen nach â im Ãbrigen handelten beide aus dem gleichen Pflichtgefühl heraus. Dass Marisa mir nie den Weg der Trennung nahelegte, ich ihr nie damit drohte und dass Scheidung uns nie in den Sinn kam â all das beweist nur, wie treu ergeben wir einander blieben.
Wie zur Würdigung dieses Umstands, und wiederum ohne Worte, stürzten wir uns in eine Phase intensiver, schwärmerischer Liebe. Es war wie Flitterwochen, die uns nie richtig vergönnt gewesen waren. Wir wachten auf und sahen uns lachend in die Augen. Ich wollte nicht, dass sie ohne mich aus dem Bett stieg, um in die Küche oder ins Bad zu gehen. Ich schaute ihr zu, wenn sie sich anzog. Ich schaute ihr zu, wenn sie ihr Make-up auftrug, den Kopf leicht nach hinten gebeugt für die letzte Korrektur, als würde sie Tropfen in ihre Augen träufeln und sorgsam darauf achten, nur ja keinen zu vergeuden. Ihre Nasenlöcher verengten sich dabei, und die Halsmuskeln spannten sich. Aus diesem Blickwinkel schimmerten selbst ihre grauen Augenringe silbern. Bezaubernd. Keine Sekunde dieser Szene wollte ich verpassen. Natürlich machte sie das befangen, aber auch das wollte ich nicht versäumen. Beim Ankleiden normalerweise brüsk wie ein Mann, schlüpfte sie jetzt, da mein Auge auf ihr ruhte, geschmeidiger in ihre Kleider, bis ihr das lächerlich wurde und sie eilig letzte Hand anlegte, ohne in den Spiegel zu blicken. Ein Wunder für mich, wie sie es schaffte, ohne Aufheben so farbenfroh und so lebendig auszusehen. Selbst in jungen
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