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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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und nicht sprechen«, rief sie vom Telefon herüber.
    Worüber durfte er nicht sprechen? Den Kronleuchter? Wohl kaum, aber was dann? Den Kuss oben auf der Treppe, von dem ihm so geschwindelt hatte, dass er das Gleichgewicht verlor? Das erotische Geplänkel, das sie beide hatte leichtsinnig werden lassen? Hatte sie ihn von sich gestoßen, um ihn abzuwehren? War er gestürzt, als er ihr entkommen wollte?
    Meine Fragen waren nicht die typischen Maigret-Fragen. Ich wollte wissen, was vorgefallen war, aber kein Verbrechen aufklären.
    Wie weit waren sie gegangen? Ich stelle die Frage mit der Direktheit, in der sie sich mir seinerzeit stellte, obwohl es Dinge gab, die dringender hätten angepackt werden müssen. Aber so ist es nun mal: Für mich gab es nichts Dringenderes als das. Ja oder nein? Angenommen, Quirin hätte mit dem Tod gerungen – was dank junger Knochen, weicher Teppiche und einer generellen Unempfindlichkeit nicht der Fall war –, es hätte mich nicht daran gehindert, meine Gedanken auch dann in dieser Reihenfolge zu fassen: War zwischen ihnen etwas gelaufen? Und wenn nicht: Welche Aussicht bestand, dass es doch noch passierte?
    Angeblich soll man zur Besinnung kommen, wenn sich ein Unfall ereignet. Dafür sind Unfälle da. Der Wahn geht, und der gesunde Verstand macht sich wieder geltend. Meine Euphorie war durch die Ereignisse jedoch nicht gedämpft. Blockiert, das ja, aber nicht erloschen. Die Nacht war noch nicht vorüber.
    Es klingelte an der Haustür. Von draußen schimmerte Blaulicht herein. »Ich glaube«, sagte ich, Marisa beiseitenehmend, »es ist besser für ihn, wenn du im Krankenwagen mitfährst.«
    Sie sah mich ungläubig an. »Das ist keine Spazierfahrt, Felix. Der Junge ist die Treppe hinuntergefallen. Wer weiß, am Ende hat er sich alle Knochen gebrochen.«
    Â»Deswegen finde ich, dass du mitfahren solltest.«
    Â»Du bist mit ihm verwandt.«
    Â»Ja, aber nur entfernt. Du stehst ihm viel näher.«
    Â»Ich?«
    Â»Ja, du.«
    Sie wich vor mir zurück, etwas, das sie noch nie getan hatte. »Du bist ja verrückt«, sagte sie. »Bist du die Treppe hinuntergefallen oder er?«
    Ich hätte gar keinen Grund gehabt, eine Treppe hinunterzufallen, da nicht ich derjenige war, der in inniger Umarmung an ihrem Kopf gestanden hatte. Aber das sagte ich ihr nicht, sondern fragte, um meine stabile geistige Verfassung hervorzuheben, stattdessen: »Was soll an meinem Vorschlag verrückt sein? Wenn du nicht mitfahren willst, werde ich es machen, aber ich wüsste nicht, dass ich etwas gesagt hätte, das verrückt ist.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Hört das denn bei dir nie auf?«
    War die Frage schon ihres Inhalts wegen unerhört, so fand ich es noch unerhörter, dass sie überhaupt gestellt wurde. Direkter hatte mich Marisa noch nie auf das Thema angesprochen, das zwischen uns loderte und das wir stillschweigend übereingekommen waren, niemals in Worte zu fassen.
    Â»Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte ich, ohne Marisa anzusehen. Hätte ich ihren Blick erwidert, er hätte mich bei lebendigem Leib durchbohrt.
    Â»Doch, Felix. Hört es nie auf? Kann dich denn gar nichts davon abbringen, und wenn es noch so wichtig ist?«
    Es war eine große Versuchung, die Gelegenheit zu nutzen und zu gestehen: »Nein, Marisa, es wird mich nie etwas davon abbringen können, weil es nichts Wichtigeres gibt.« Aber das hätte das Ende bedeutet. Sie hielt mich schon jetzt für verrückt, dabei wusste sie höchstens die Hälfte. Ein Masochist wagt nicht, eine sich bietende Gelegenheit zu ergreifen, es sei denn, er will die Welt um sich herum zum Einsturz bringen. Er mag meinen, er täte es, er mag damit prahlen, aber mehr noch als der Sadist sehnt sich der Masochist nach ständiger Wiederholung.
    Ich trat einen Schritt zurück vom Rand des Abgrunds, auf dass ich mich später wieder dorthin begeben könne.

Danach, wie konnte es anders sein, veränderte sich einiges zwischen uns.
    Nicht an der Oberfläche und auch nicht sofort.
    Ich war mit Quirin zur Notaufnahme gefahren und konnte mich davon überzeugen, dass ihm eigentlich nichts fehlte, jedenfalls nicht körperlich. Man behielt ihn einige Tage zur Beobachtung da, dann entließ man ihn; daraufhin wurde er, wie ich hörte, in der Stadt, an einer Krücke mit Silberknauf humpelnd, gesichtet. Bei uns tauchte

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