Liebesdienst
gehen wir aneinander vorbei. Wir schenken uns mit Blicken Beachtung, wenn unser Interesse geweckt ist, wir nehmen uns flüchtig wahr oder staunen unbekümmert, aber wir beobachten nicht genau und befragen uns nicht â bis wir lieben. Daran erkennen wir Liebe, darin unterscheidet sie sich von ihrem armen Verwandten: der Gier, mit der wir das Objekt verschlingen und nicht ruhen, bis wir den Geliebten vollkommen in uns aufgenommen haben. Nur Künstler haben noch diesen gefräÃigen Blick, diese verschlingende Neugier. Und natürlich die Religiösen, die sich ihren Gott einverleiben, um ihn ganz zu begreifen.
Kunst, Religion, Liebe â wie ähnlich sich diese drei schon immer in ihrer verwirrten Sinnlichkeit gewesen waren. Ich war Liebhaber, Künstler und fanatisch Ergebener Marisas. Umso mehr, da sie â wie jene im Verschwinden begriffenen Musen, denen Dichter und Maler so gerne nachstellen und dabei ihr Leben verschleiÃen, wie die grausame, unsichtbare Gottheit, zu der die Frommen unaufhörlich, doch vergeblich beten â jeden meiner Versuche abwehrte, ihre Fantasie zu besetzen, so wie andere jetzt ihren Körper besetzen durften.
Diese etwas altmodische Ausdrucksweise habe ich mir bei Marisa ausgeborgt. So beschrieb sie und so â Verzeihung â vollzog sie den Liebesakt, jedenfalls in meiner Gesellschaft, als überraschendes, vielleicht sogar unangemessenes Aufdrängen. Damit ist nicht gesagt, dass sie ihn deswegen ablehnte. Im Gegenteil. Ich glaube, je unbegreiflicher ihr die Erfahrung der Penetration war, desto stärker fühlte sie sich erregt. In dem Moment, wenn andere Frauen die Augen schlieÃen und versuchen, dem Bewusstsein, das nur ablenkt, zu entwischen, wurde Marisa noch aufmerksamer und neugieriger, richtete sich auf, stützte sich auf die Ellbogen und sah an sich herab, weil sie die Mechanik miterleben wollte â den Moment der Penetration â, als könnte sie nur dann, wenn sie ihn in seiner ganzen unerklärlichen Obszönität von Augenschein erlebte, zugeben, dass sie, obwohl sie nie verstanden hatte, warum es Leuten, sie selbst eingeschlossen, so erging, Freude daran fand.
Und drängte es mich schon, sie zu verstehen, wenn ich mit ihr zusammen war â dann wie viel mehr noch, wenn ich sie mir in der Gesellschaft eines anderen vorstellte.
An den Abenden, an denen Marisa mich allein lieÃ, mir auch nicht sagte, ob sie vor dem Morgen zurückkäme oder nicht (ich wusste immer, wann sie nach Hause kam), verwandelte ich unser Schlafzimmer in eine Kathedrale. Wenn ich Musik spielte, dann Schubert, den groÃen Seelenpeiniger,
Ich frage keine Blume,
Ich frage keinen Stern,
Sie können mir alle nicht sagen,
Was ich erführ so gern.
der das, was er so gern erführe, genauso gern nicht erführe. Meist jedoch brauchte meine Marter keine Begleitmusik.
Gegen neun verschloss ich das Haus, nicht um Marisa auszusperren, sondern damit ich drinblieb. Denn meine Kathedrale war auch ein Gefängnis. Danach verlieà ich das Zimmer nicht mehr, tat alles Weitere nur im Schein von zwei Altarkerzen, die ich links und rechts des Bettes aufstellte. Auch Räucherkerzen zündete ich an. Opium war der Duft, der mir am meisten zusagte. Gegen zehn hatte ich meinen StraÃenanzug, oder was immer ich gerade an Kleidung trug, die anderen Zwecken diente, die nicht mit Marisa in Verbindung standen, abgelegt. Bevor sie in Florida erkrankt war, hatte Marisa mir in einem Geschäft in Key West, das nur Kleidungsstücke im Angebot hatte, die Hemingway getragen haben könnte, noch einen weiÃen Pyjama gekauft. Hemingways Vorliebe für weiÃe Pyjamas war uns ein Rätsel, aber in dem feuchten, heiÃen Klima waren sie bestimmt angenehmer als die, die ich mitgebracht hatte. Marisa hatte gelacht, als sie sah, dass ich überhaupt Schlafanzüge für die Reise nach Florida eingepackt hatte. Wozu Schlafanzüge auf eine Hochzeitsreise mitnehmen? »Damit du über mich lachen kannst«, hatte ich geantwortet. Jetzt hatte mein weiÃer Pyjama nichts Lachhaftes an sich. Er war Opferkleidung, ein Gewand, das den Verzicht auf meine Virilität und Unabhängigkeit zum Ausdruck brachte. Ich war Marisa zu Willen; sollte mein Eisblut das Gewand beflecken, das ich ihr zu Diensten trug, bis jede Masche die Farbe des Fleisches angenommen hatte. In diesem Festkleid, meines inneren Wesens beraubt, legte ich mich nieder und hielt
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