Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
Vom Netzwerk:
auf. Beides provozierte mich auf seine Art, der Liebhaber und die Liebhaber, oder wie immer der Sammelbegriff lautet. Wenn wir nur von Eifersucht sprechen, hatte mich natürlich der Liebhaber, Singular, fester im Griff, als es ein ganzer Schwarm Liebhaber je vermocht hätte. Er allein genoss Marisas ganze Aufmerksamkeit, daher besaß nur er allein, was eigentlich mir zustand. Zudem war er der Erste. Mit ihm nahm alles seinen Anfang. Mit ihm – der kubanische Arzt konnte ebenso wenig als Anfang gelten wie Quirin – musste ich lernen, wie ich aushalten sollte, was auszuhalten ich keine andere Wahl hatte. Wer immer er war, er nahm mir meine Jungfräulichkeit.
    Schlichte Eifersucht jedoch war nur ein geringer Aspekt des Ganzen, wie ich lernen musste, und ich lernte Schritt für Schritt. Ich war geistiger Voyeur der Erlebnisse meiner Frau, lag allein in unserem verlassenen Bett, stellte mir in allen gnadenlosen und unvergesslichen Einzelheiten vor, wie sich die Finger meines Rivalen den gestohlenen Besitz, Marisas Körper, ertasteten und erkundeten. Pore für Pore berührte ich, was er berührte, lebte in seinen Händen, schlüpfte in seinen Mund und folgte seiner Zunge überall dahin, wo Marisa ihm Zugang bot. Wo er hinging, da ging auch ich hin. Muss ich deutlicher werden? Ich war er, mehr als er selbst. Vielleicht war ich sogar mehr ich selbst als je zuvor. War ich solo je so stürmisch in Marisa eingedrungen, wie wir beide jetzt gemeinsam in sie eindrangen? Trotzdem wollte ich zu keinem Zeitpunkt dieser Phase intensiver Vertrautheit, die ich mit ihm teilte, in Erfahrung bringen, wer er war. Ich wollte ihn nicht sehen, wollte seinen Namen nicht wissen, wollte nicht herausfinden, wie er aussah oder womit er seinen Lebensunterhalt verdiente. Ich nahm an, dass wir nicht miteinander bekannt waren; Marisa wäre nicht so ordinär, sich ihren ersten Liebhaber – ihren ersten Liebhaber, seitdem ich ihr Liebhaber gewesen war – aus unserem Freundeskreis auszuwählen. Selbst für den Fall, dass wir uns kannten, war es mir lieber, ich erfuhr nichts davon, und ich hätte Marisa die Wahl auch nicht zum Vorwurf gemacht. Es ging mir um sie, nicht um ihn. Die Geschichte, die mich faszinierte, war, dass Marisa losgezogen war und sich erst einen Liebhaber zugelegt hatte, und danach andere, ganz gleich, wer sie alle waren. Eine Geschichte, die ich in allen wesentlichen Punkten eher einer Jane Austen als de Sade oder Sacher-Masoch zugeschrieben hätte. Wie hatte Marisa dieses Verlangen in ihrem Herzen gespürt? Welche Beflügelung der Emotion, welche Verwirrung des Geistes brachten sie dazu, den geraden Weg unserer Ehe zu verlassen und sich in diesen ersten Akt der Untreue zu stürzen? Und mit welchem Gefühlschaos, mit welchen Erwartungen an Glückseligkeit oder Enttäuschung, welcher Steigerung oder Minderung der Selbstachtung tat sie Liebhaber Nummer eins – der ihr bestimmt besonders viel bedeutet hatte – genau das Gleiche an, was sie mir angetan hatte, und verriet ihn mit der gedankenlosen Gewährung ihrer Gunst jetzt an Liebhaber Nummer zwei, dann an Liebhaber Nummer drei und an wer weiß wie viele, die noch folgten? Was war die größere Ungehörigkeit? Wofür, wenn überhaupt, schämte sie sich mehr, vorausgesetzt, sie hatte jemals Scham empfunden? Und wenn nicht Scham – denn wie gesagt, sie war ein ernsthafter und reflektierter Mensch –, was war es dann? Liebe? Gott behüte, aber konnte sie ihr Herz an Liebhaber Nummer eins verloren haben? Wenigstens ein bisschen? Vielleicht sogar in Gänze? Rief die Verschwendung ihrer Gefühle an ihn – während sie ihr Netz weiterspannte – Reue in ihr hervor? Bedauerte sie die Treulosigkeit ihm gegenüber? Oder war Geschmeidigkeit das Element, in dem sie sich nun bewegte?
    All diese Fragen schleuderte ich ihr nicht ins Gesicht, sondern befragte in ihrer Abwesenheit ihre Seele. Ich habe keine Skrupel, dieses strenge, ausdauernde Verhör als Liebe zu bezeichnen. Nicht Verknalltheit, nicht vorübergehende Verliebtheit, nicht der schwache Liebeskitzel, den Marisa für den Mann empfunden haben könnte, mit dem sie mich zuerst als Ehemann verstieß, sondern echte, tief wurzelnde Liebe – meine Art Liebe, bedingungslos, bewährt, krankhaft unerschütterlich und unterwürfig, mit jeder Faser gelebt.
    Bis wir wahrhaft verliebt sind – auf meine Art –,

Weitere Kostenlose Bücher