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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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wieder, wenn sie sie aufschlug. Sie stand so lebendig vor mir, ich hätte sie zusammensetzen können, Ader für Ader, wenn die Fantasie es vermocht hätte, menschliches Leben neu zu erschaffen.
    Nun wohnt die Liebe natürlich nicht nur in den Adern. Sondern sie ließ mein Herz, wenn sie nicht da war, nicht nur höherschlagen, in der Erinnerung an Marisa und wie sie sich anfühlte – ihre körperliche Präsenz –, sondern ich verweilte mit den Gedanken auch in ihrer Abwesenheit bei ihrem Stil und ihrem Mut, denn sie beging keinen gewöhnlichen ehelichen Betrug. Es verlangte Geisteskraft, Intuition und Güte – jedenfalls Güte mir gegenüber –, um ihre Zuneigung und Loyalität gleichmäßig zu verteilen. Außerordentliches Feingefühl und sichere Selbsteinschätzung waren erforderlich, Scharfsinn, breites Verständnis, Urteilsvermögen und Charakterkenntnisse, wenn sie nicht leichtfertig mit den Gefühlen von Leuten, ihre eigenen eingeschlossen, umgehen wollte.
    Zu meiner Hingabe kommt also noch Bewunderung hinzu. Eine Wertschätzung für Marisa, die mit jedem neuerlichen Akt der Untreue noch wuchs, denn Untreue verkehrte sich in ihrer Person in das genaue Gegenteil: den Beweis, wie sehr, wie gut – wie intelligent – sie mich liebte.
    Im Alltag beanspruchten diese aus Liebe begangenen Akte der Untreue natürlich nicht unsere gesamte Zeit. Ob Marisa sich einschränkte, ob sie mich kurzhielt, wusste ich nicht und wollte es auch nicht wissen; aber es soll nicht der Eindruck entstehen, Marisas Leben wäre eine Aneinanderreihung amouröser Abenteuer. Für Außenstehende hatte sich an dem Leben, das wir führten, nichts verändert. Wir gingen immer noch abends essen, besuchten immer noch Theater und Kinos, nahmen weiter Tanzstunden (zu denen ich wie immer hartnäckig zu spät kam), trafen uns immer noch mit unseren Freunden. Ich ging wie gewöhnlich jeden Tag zur Arbeit, Marisa las dem blinden Mann vor, preiste Bücher bei Oxfam aus, kochte Marmelade, die auf Spendenpartys verkauft wurde, führte Kunstliebhaber auf den Weg der Erkenntnis und redete freitagabends den Verzweifelten mit schönen Worten ihre Verzweiflung aus. Es konnten Monate vergehen, ohne dass eine dritte Person sich in unsere Ehe einmischte. Doch dass Marisa unkeusch war, ging mir, wie gut sie die Abstände zwischen diesen Vorfällen auch setzte, nie aus dem Kopf. Keine Sekunde, in der mir das nicht bewusst war. Also auch keine Sekunde, in der ich meiner Frau nicht hörig war.
    An den Abenden, die sie einem anderen widmete, stand ich an unserem Schlafzimmerfenster und schaute ihr dabei zu, wie sie in ein Taxi stieg oder mit ihrem wunderbaren geschmeidigen Gang den Bürgersteig entlangschritt, der Rock eng an die Hüften geschmiegt, die Absätze in präziser Attacke auf die Pflastersteine knallend, die Handtasche mit Kreditkarten und Make-up scharf unter den Arm geklemmt, und bekam kaum Luft vor Sehnsucht nach ihr. Alles an ihr rührte mich und wühlte mich gleichermaßen auf – ihr schimmerndes Haar, die Kraft in ihrem Rücken und ihren Beinen, die durch die klackernden Absätze ausgelöste Vibration ihres Körpers und das Einsame ihrer Mission. Letzteres drohte immer, mich kleinzukriegen. Müsste ich nicht hinter ihr herrennen und sie zurückhalten? Müsste ich dieses ganze Theater nicht beenden? Manchmal winkte ich ihrer allmählich verschwindenden Gestalt nach und fragte mich, ob es mein letztes Lebewohl sein würde – die Vorahnung einer Katastrophe, die mich ans Fenster hätte treiben sollen, an die Scheibe zu klopfen und Marisa anzuflehen, nicht zu gehen. Doch der Gedanke daran, wohin sie ging, ließ mich reglos am Fenster verharren. Das ganze Lager genoss ihren süßen Körper, das wusste ich, jeder wusste es, der sie umtriebig in der Welt sah, ohne mich, und ich war glücklich.
    Wohingegen … wenn ich den Schweigebann, der uns zusammenhielt, gebrochen hätte, um zu sagen: »Marisa, meine liebe Frau, mein Schatz, es reicht, ich bin satt geworden, ich habe genug, ich kann nicht mehr, komm nach Hause«, wer sagt mir, dass sie nicht geantwortet hätte: »Mein lieber Felix, mein lieber, guter Mann: Aber das alles geht dich doch gar nichts an. Es hat nichts mit dir zu tun, und es wird nie etwas mit dir und deinen Wünschen zu tun haben. Es geht um mich und nur um mich. Jetzt geh

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