Liebesdienst
war. Ich blieb ruhig liegen, unduldsam gegenüber allem Lärm, allen Bewegungen auÃer Marisas. Als wäre ich durch feine Liebesfäden mit ihr verbunden, wie eine in ihrem Netz aus Begehren gefangene Fliege, bebte ich bei jedem Geräusch, das sie machte, jedem Gedanken, den sie hatte. Marisa, die flüsterte, die lachte, die sich jemandem anvertraute, die keuchte. Marisa, die ihren Leib öffnete â egal wem, darauf kam es nicht an, nur, dass sie dabei den Schock spürte, die Scham, den StoÃ, was auch immer, darauf kam es an, und dass sie mir die Botschaft schickte, und sei es von noch so weit her.
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Der Zustand wäre nicht zutreffend beschrieben â es wäre unehrlich mir selbst und auch der Liebe gegenüber, die ich für Marisa empfand â, wenn ich nicht zugäbe, dass selbst eine so vollständige Trance wie diese Launen unterworfen war. Ich erlebte seltsame Anfälle von Leidenschaft â¦
Was war, wenn Marisa bei ihren Ausflügen etwas Schlimmes zustie� Was war das für ein Ehemann, der seiner Frau gestattete, ungeschützt durch eine barbarische Stadt zu stromern? Erotische Verzückung, selbst so ausufernde wie meine, pflegt enge Beziehungen zum Aberglauben in moralischer Gestalt. Jahrhunderte des Puritanismus lassen sich nicht in einer einzigen Nacht abschütteln. Warum sollte ich mich unter dem Druck dieses Puritanismus also nicht fragen dürfen, ob Marisa nicht mit der Gefahr spielte? Hatte sie es nicht verdient, zu Schaden zu kommen? Und hatte ich es nicht verdient, sie zu verlieren, ob durch ein Unglück oder an einen anderen Mann? Man treibt nicht Schindluder mit den Konventionen einer abweisenden und rachsüchtigen Welt, ohne damit rechnen zu müssen, dass sie es einem mit gleicher Münze heimzahlt. Der Lohn tumber irdischer Sünden ist der Tod. Wie hoch ist der Preis für eine verrückte Verruchtheit wie die unsrige?
Meine Bedenken waren moralischer, ahnungsbanger Natur, niemals sexuell, aus dem Bauch heraus. Ich hatte Tremor cordis, litt aber nie unter Nausea. Natürlich erhob ich mich manchmal morgens nach schlafloser Nacht von meinem Opferbett mit einem scharfen britischen Gefühl der Lächerlichkeit. Dann warf ich mein weiÃes Ornat ab und betrachtete irritiert mein Spiegelbild â ein Mann, der Lebensmitte näher als den Jugendjahren, mit müden Augen und dennoch einem Ausdruck fast seliger Unschuld im Gesicht, frischer jungenhafter Dankbarkeit, die mich wütend machte, wütend auf mich selbst. Das war für mich der nötige Abscheu, wenn ich mit den anderen unbedeutenderen Aufgaben meines Lebens vorankommen wollte. AuÃerdem hielt er nie länger als ein, zwei Tage an oder schwappte über in einen Abscheu vor Marisa und dem Hundeleben, das sie mir aufzwang.
Welch groÃe Wahrheit steckt in den berühmten Worten aus Dostojewskis Roman über moralische Inversion, Die Brüder Karamasow: »Was der Verstand als Schmach ansieht, erscheint dem Herzen oft als Schönheit.« Doch kann man ihre StoÃrichtung auch ändern: »Was dem Herzen als Schönheit erscheint, muss der Verstand nicht als Schmach ansehen.« Ich habe es mir stets zum Prinzip gemacht, den Verstand zu ermutigen, den Wegen zu folgen, auf die sich das Herz vorwagt. Was man als schön empfindet, darf auch dem Denken nicht verschlossen bleiben. Soll sich die Vernunft, ohnehin oft nichts als Verlegenheit über die Exzesse des Herzens, zum Teufel scheren. So hielt, auch wenn ich mich gelegentlich kurz voll Entsetzen von dem Bild abwandte, das ich abgab, mein Abscheu vor dem, was aus meinem Leben mit Marisa geworden war, nicht lange an.
Die Liebe, die ich für sie empfand, wuchs mit jedem Grund, den sie mir lieferte, ihre Verwegenheit zu bewundern. Mit jedem Akt der Untreue â tatsächlich oder nur eingebildet; denn die Einbildung setzt nicht einfach aus, nur weil die Wirklichkeit sich plötzlich mit ihr messen kann â wurde meine Ergebenheit tiefer. Kein Mann, der seine Frau wahrhaft liebt und sie nie in den Armen eines anderen wähnt. Das sind meine Worte. Davon möchte ich keines zurücknehmen. Wenn Marisa nicht bei mir war, stellte ich sie mir in allen, was nicht unbedingt heiÃen soll anstöÃigen Einzelheiten vor. Ich zählte die Haare auf ihrem Kopf. Ich vermaà die Haut zwischen ihren Fingern. Ich hörte das Geräusch, das ihre Augen machten, wenn sie sie schloss, und dann
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