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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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weitgehend unbekannten und nicht sehr erfolgreichen Streichquartett spielte. Die Ehe war eine glückliche Verbindung, aus der ein Sohn hervorgegangen war, der ein Stipendium für das Studium der Ägyptologie an der Amerikanischen Universität in Kairo bekommen hatte, und eine Tochter, die Theologie in Cambridge studierte. So wie es im Leben von Dr. Jekyll nichts gab, was einen auf Mr Hyde vorbereitet hätte, fand sich auch in Dulcies Vergangenheit oder ihrem häuslichen Alltag nichts, das auf eine Vorliebe für Fußkettchen hindeutete. Nicht das Geringste, aber man weiß ja nie, was so passiert.
    Und an einem schönen Sommertag passierte es dann tatsächlich. Dulcie hatte immer noch eine gute Figur, keine Frage, und attraktive Beine, wenn auch für meinen Geschmack, für den der luftige Abstand zwischen Marisas Beinen, in den Knien leicht gebeugt, das Muster idealer Schönheit darstellte, etwas zu eng, zu dicht nebeneinanderstehend. An schönen Tagen, zu Riemchensandalen, als Accessoire zu einem weiten ausgestellten Kleid, konnte sie ihr Fußkettchen von mir aus umbinden. Erst als sie anfing, es auch unter den Strümpfen zu tragen, was auf den ersten Blick aussah, als hätte sich ein Tausendfüßler darin verfangen, machte ich mir ernsthafte Sorgen um ihre Stilsicherheit.
    Sie war die einzige Frau, die für mich arbeitete, kam also nicht in den Genuss modischer Ratschläge von Kolleginnen. Und von den anderen Angestellten durfte man nicht verlangen, dass sie ihre männliche Sicht der Dinge zum Ausdruck brachten. Das Personal kannte meine Haltung zu solch eher groben Anspielungen während der Arbeitszeit, und als verantwortungsbewusster Arbeitgeber hatte ich um Dulcie eine Art Cordon sanitaire errichtet. Zur Zeit meines Vaters war keine Sekretärin oder Putzfrau vor rüden Kommentaren oder schlechtem Benehmen sicher gewesen. Es war sogar die Regel, dass sie schlecht behandelt wurden, dafür hatte man sie angestellt. Als ich das Geschäft übernahm, hörte diese Unsitte sofort auf.
    Zu den Veränderungen, die ich einführte, zum Wohle aller Angestellten, gehörte auch die Einrichtung einer Art Ruheraum, eines gemütlichen Zimmers, nicht für Kaffeepausen und Klatsch – dafür gab es auf der Straße genug Pubs und Cafés –, sondern ein Ort der Besinnung und der Stille, fast eine Klause, nur nicht ganz so abgelegen. Licht kam von einer einzigen rosa Lampe, und auf dem Boden lag ein altrosa chinesischer Teppich. Ursprünglich hatte der Raum noch eine Tür, damit mein Vater und mein Großvater sich dort, natürlich getrennt, einschließen konnten, um sich an eine Untergebene heranzumachen, die es freiwillig oder gezwungenermaßen geschehen ließ – eine Unterscheidung, wie ich leider sagen muss, die für beide Männer keine Bedeutung besaß. Ich ließ die Tür entfernen. Zog sich heute jemand in gedrückter Stimmung hierher zurück, konnte er damit rechnen, wenigstens einen mitfühlenden Blick zu ernten oder sogar eine besorgte Nachfrage, wenn er nur die Augen hob und Bedarf signalisierte.
    Hier, in diesem Zimmer, kurz nachdem ich zum ersten Mal ein Fußkettchen an ihr gesehen hatte, fand ich Dulcie eines Tages auf dem Boden kauernd, wie jemand, den man in den Bauch geschossen hatte, schluchzend wie ein Kind. Der rechte Fuß war vorgestreckt, von allem Schmuck entblößt.
    Ich schaute kurz ins Zimmer, vorsichtig.
    Â»Alles in Ordnung, Dulcie?«, fragte ich.
    Dieser Anstoß reichte der armen Frau, um mir ihr Herz auszuschütten.
    Mir müsse doch aufgefallen sein, sagte sie unter Tränen, dass sie seit drei, vier Wochen Schmuck an den Füßen trage.
    Ich senkte den Kopf. »Nein, Dulcie«, log ich. »Das ist mir nicht aufgefallen.«
    Â»Gott sei Dank. Wenigstens das«, stellte sie fest.
    Im ersten Moment dachte ich, meine Nichtbeachtung hätte sie gekränkt. Eine Frau trägt Schmuck, weil sie damit auffallen will.
    Sie musste meine Gedanken gelesen haben. »Es war nicht meine Idee«, sagte sie, »dieses scheußliche Ding zu tragen.«
    Wessen dann?, wäre die normale Frage gewesen, aber die zu stellen hatte ich kein Recht.
    Sie sagte es mir trotzdem. Die ganze traurige Geschichte erzählte sie mir.
    Ihr Mann Lionel, der Bratschist, hatte während einer Konzerttournee im Mittleren Westen der USA auf einer Party, über die er sich nur ungern im Detail

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