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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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die Nacht hindurch Wache.
    Subspace – oder auch Fliegen – ist unter denen, die solche Art der Anspannung für sich als Berufung betrachten, die gebräuchliche Bezeichnung: das rituelle Aufgeben des eigenen Willens, die Hingabe an die sexuellen Launen des Partners, die nirwanagleiche Stille der vollständigen Unterwerfung. Im Subspace empfängt man mit Freude und Dankbarkeit die Strafe, die einem zugemessen wird – eine intime Beleidigung, eine öffentliche Erniedrigung, eine Tracht Prügel, eine Quälerei mit Klinge oder Flamme oder die Folter, die man sich selbst oder der eigene Peiniger für einen ausgesucht hat.
    Der Subspace, den ich betrat, wurde durch Marisas Abwesenheit beherrscht. Mit Freude und Dankbarkeit gab ich mich meinem Leid darüber hin, dass sie woanders war, und das verletzte mich tiefer, als jede Klinge schneiden konnte.
    Manchmal fand ich doch etwas Schlaf, kurze Ausfälle meiner moralischen Verpflichtung, in den meisten Nächten jedoch nicht. Wenn ich eingeschlafen war und wieder aufwachte, hatte ich Schuldgefühle, weil ich es unhöflich und undankbar Marisa gegenüber fand, dass ich nicht wach geblieben war, schließlich rackerte sie sich für mich ab, wenn man so will. Aber ich versagte mir den Schlaf noch aus einem anderen Grund: Subspace vergeudet man nicht an Bewusstlosigkeit. Man ist wach, wenn man sich einmal entschieden hat, die Unterwerfung an die sexuellen Launen seiner Frau als die eigene Berufung anzunehmen. So wie Henry James’ Romanschriftsteller, »dem nichts entgeht«. Und jede Sekunde Schlaf war eine verlorene Sekunde für die Folter des Wachseins. Die Nächte zu verschlafen, in denen die untreue Frau abwesend war – da konnte man gleich auf die Tröstungen des gemeinen Mannes zurückgreifen: Trinken, Spielen, Sport, Selbstmord.
    Außerdem konnte ich nie sicher sein, welche Nacht verwundender Wachsamkeit meine letzte sein würde. Nicht in dem Sinn, dass ich Selbstmord begehen wollte, sondern weil man die Flatterhaftigkeit menschlicher Leidenschaft bedenken musste. Marisa war zu allem fähig. Sie konnte es sich in den Kopf setzen, zu unserem früheren gemeinsamen Leben zurückzukehren, sodass ich womöglich keine ungesunden Nachtwachen mehr einzuhalten brauchte. Oder sie machte das genaue Gegenteil und verließ mich für immer, auch in dem Fall wäre meine Aufopferung vorbei. Denn eins muss klar sein: Dieses Ritual feierte unsere einzigartige Form der Zusammengehörigkeit, ein Ehesakrament, das jeden Sinn und Reiz verlieren würde, falls wir uns trennten. Der exquisite Friede des Subspace – der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft – setzte eine glückliche Vereinigung voraus.
    Was die andere Entsagung betrifft, die ich Marisa im Verlauf dieser nächtlichen Liturgien verdankte, darüber will ich hier nicht sprechen. Was immer sie sonst sein mag, das hier soll keine klebrige Geschichte werden. Aber die Antwort lautet Nein, ich habe es nicht getan. Es hätte bedeutet, Marisa wegzunehmen, was ihr nach unserem Ehevertrag zustand, ob sie davon Gebrauch machen wollte oder nicht – ihr umso mehr zustand, paradoxerweise, je weniger Gebrauch sie davon machte, sei es sogar, dass sie es als überflüssige Ausscheidung deklarierte.
    In den schwärzesten Winkeln meiner Seele wünschte ich mir, sie hätte mich, bevor sie das Haus verließ, vor allen Versuchungen, die ein Verrat an der Sache gewesen wären, beschützt, indem sie mir zum Beispiel die Hände auf den Rücken gefesselt hätte. Oder sie mir – in meinem Fieber zog ich alles Mögliche in Erwägung – abgehackt hätte. Und dabei sollte es nicht bleiben. Hat man erst mal Amputationen als erotische Komponente seines Lebens akzeptiert, bleibt nur ein einziger denkbarer Schluss. Der Mann muss eingesperrt, der Mann muss entmannt werden, der Mann muss sterben, ohne dass noch eine Spur seiner Männlichkeit übrig ist. Doch falls Marisa diese Sehnsucht bekannt war, dann befriedigte sie sie jedenfalls nie. Vielleicht aus dem Grund, weil sie ohnehin schon genug für mich tat.
    So lag ich da, wie auf einem Sockel aus Stein, um mich herum gedehnte Stille, und ich stellte mir vor, wie es sein würde, wenn Marisa eines Tages einwilligte, mich zu zerstückeln, als Geschenk an mich, obwohl sie mir dieses Geschenk der Zerstückelung praktisch schon jetzt gewährte, indem sie abwesend

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