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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Schätzungsweise war er sieben bis acht Jahre jünger als Marisa. Das freute mich, aus Gründen, auf die näher einzugehen ich nicht nötig habe. Er vermittelte mir nicht den Eindruck, als wüsste er, wer ich war, oder als ginge ihn das irgendetwas an. Auch das freute mich, aus Gründen, die ich ganz bestimmt nicht erklären muss.
    Ich ließ meinen Blick so lange auf ihm verweilen, wie es der Anstand erlaubte. Da war er also, da war sie also. Besagte gefürchtete Alternative.
    Endlich stand ich ihr von Angesicht zu Angesicht gegenüber.
    Die fleischgewordene, gefürchtete Alternative, und ich konnte damit umgehen. Mehr noch, ich wuchs mit ihr. In meinem Magen ging etwas vor, vermutlich die Verwandlung von Blut in Wasser. Aber sonst fühlte ich mich wunderbar lebendig. Felix Felicis .
    Felix Vitrix .
    Falls Marisa ihrerseits diese Begegnung unangenehm war, ließ sie es sich nicht anmerken. Sie war unvergleichlich in ihrer Staffage und ihrer Dreistigkeit. Nicht zu viel lächeln, nicht zu wenig. Keine Erwähnung des Zufalls. Keine Leugnung meiner Person, aber auch keine überschwängliche Begrüßung. »Na dann, guten Appetit«, sagte sie, ohne damit auch nur das Geringste anzudeuten, außer dem, was die Worte besagten. Dann zogen sie weiter.
    Für Dulcie wenigstens, wenn schon nicht für mich, wäre es besser gewesen, man hätte Marisa und ihrem irischen Begleiter einen Tisch zugewiesen, der ein Stück von unserem entfernt war. Zwar hörten wir nicht ihr Gespräch, konnten aber, wenn wir wollten, viel von ihrer Gestik und Mimik mitbekommen. Von all dem, was ich in den ersten zehn Minuten beobachtete, faszinierte mich vor allem das gegenseitige Zuprosten. Die beiden stießen nicht zum ersten Mal an, das erkannte ich sofort. Sie suchten in diesem Akt Intimität, hoben die Gläser höher als üblich und hielten sie länger hoch, was ich als Ausdruck gegenseitigen ungeduldigen Verlangens interpretierte, fern vom Lärm und der Öffentlichkeit des Gastraums den Blick des anderen im Weinglas gespiegelt zu sehen. Genauso hatte Marisa mich durch ihr Weinglas angesehen, als ich sie Freddy ausspannte. Damals war es ein liebender und ungeduldiger Blick gewesen, und auch jetzt blickte sie liebend und ungeduldig. Wenn es keine so unappetitliche Beschreibung von zwei Menschen gewesen wäre, die ihr Mittagessen genießen, würde ich sagen, ich konnte die Ungeduld, die sie ausstrahlten, förmlich riechen. Aber Unappetitlichkeit ist Interpretationssache, und mir ist sie schon immer aufgefallen, wo weniger scharfsichtige Männer nichts erkennen können. Ich muss ein bisschen blass geworden sein, denn Dulcie fragte mich, ob es mir nicht gut gehe.
    Â»Alles bestens, Dulcie«, sagte ich. »Und selbst?«
    Keineswegs bestens, wie sich zeigte – doch das hatte nichts damit zu tun, dass sie die Frau ihres Chefs mit einem anderen Mann flirten sah, vor ihren eigenen und den Augen ihres Chefs.
    Ein paar Worte zu Dulcie, denn zwischen ihrer Angst und meiner bestand eine gewisse Ähnlichkeit, wenn denn Angst überhaupt eine zutreffende Bezeichnung für meinen Zustand war.
    Das für ihre Verhältnisse ungewöhnliche Fußkettchen, das Dulcie in letzter Zeit gerne anlegte, habe ich bereits erwähnt, obwohl mir angenehm auffiel, dass sie es heute zu unserem gemeinsamen Mittagessen nicht trug. Hier verkehrte kein fußkettchentragendes Publikum. Eigentlich war auch Dulcie kein fußkettchentragender Mensch, bei aller Fantasie. Vor zwanzig Jahren jedenfalls, als ich mein erstes Einstellungsgespräch mit ihr geführt hatte, hatte sie ganz bestimmt keins getragen. Auch in ihrem Charakter, ihrem Verhalten und ihrem Lebenslauf deutete nichts darauf hin. Dulcie Norrington, eine adrette, hübsche Frau mit leicht katzenhafter Erscheinung, Stupsnase, weit auseinanderstehenden Augen, die sie mit reichlich Wimperntusche schminkte, wodurch es so aussah, als kullerten sie lose in ihren Höhlen, mit elegantem, anthrazitfarbenem Haar, das sie zu einer Frisur zurechtgemacht trug, die man früher mal mit Doris Day in Verbindung gebracht hatte, war die Tochter eines Pfarrers mit Vorliebe für alte Bücher – daher ihr Wunsch, für mich zu arbeiten. Sie war die Schwester einer sehr beliebten Shakespeare-Schauspielerin, die in der bereits erwähnten Othello -Aufführung als Emilia auftrat, und die Frau eines Bratschisten, der in einem

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