Liebesdienst
wissenden Lächeln. »Auch ein Toter im Grab kann einem schaden«, sagte er.
Sie sah zu ihm auf. Sie war es nicht gewohnt, zu Männern aufzuschauen. »Und welchen Schaden, noch aus dem Grab, scheine ich Ihrer Meinung nach zu befürchten? Doch wohl hoffentlich nicht den Schaden durch einen Vergleich mit ihr. Ich stehe nicht in Konkurrenz mit ihr, weder mit ihrem Schicksal noch mit ihrem Aussehen.«
Sein Blick wanderte von ihr zu dem Gemälde und wieder zurück. Seine Miene legte nahe, dass sie bei einem Vergleich nichts zu befürchten hätte. »Im Gegenteil«, sagte er. »Ich finde, Sie haben eine auffallende Ãhnlichkeit mit ihr oder umgekehrt, sie mit Ihnen, wenn Ihnen das lieber ist.«
Sie lachte. »Na ja, gegen ihre Figur hätte ich nichts einzuwenden.« Wie man flirtete, hatte ich Marisa nie beizubringen gebraucht.
Sie errötete leicht, er ebenfalls.
»Ich frage mich«, sagte er, »ob diese Ãhnlichkeit nicht gerade der Grund Ihrer Feindseligkeit gegen sie ist, wenn das nicht zu stark ausgedrückt ist. In ihren Augen liegt etwas, in dem Sie sich vielleicht wiedererkennen könnten. Etwas ganz Direktes und doch wieder nicht. Nichts Flehentliches, aber eine gewisse Traurigkeit und gleichzeitig die Hoffnung auf Mitgefühl, ohne dass sie weiÃ, ob sie es verdient hat oder nicht.«
Statt Marius anzusehen, dessen Auslassungen allmählich an Unverschämtheit grenzten, sah Marisa sich das Porträt an. Marius hatte recht. Lady Blessington beugt sich auf ihrem samtroten Stuhl etwas vor, hält die Hände locker ineinander verschränkt, eine Geste gewisser Unsicherheit, nicht restlos erlangter Gemütsruhe. Es stimmte, ihr gefiel diese äuÃere Erscheinung nicht. Nur war ihr bisher nicht bewusst gewesen, dass es ihr deswegen nicht gefiel, weil sie sich in ihr wiedererkannte.
Sie wandte sich erneut Marius zu. »Für jemanden, mit dem ich noch nie ein Wort gewechselt habe, wissen Sie ganz schön viel über mich.«
Er murmelte etwas in seinen Schnurrbart, das man als Entschuldigung deuten konnte. »Mich hat Ihr Vortrag beeindruckt, und dafür möchte ich mich bedanken«, sagte er. »Ich habe genau zugehört. Mehr nicht. Ich hatte nur den Eindruck, dass Sie mit einigen Ihrer Gedanken hinterm Berg gehalten haben.«
»In meinen Intellekt haben Sie also auch noch Einblick genommen. Offenbar können Sie in mir lesen wie in einem offenen Buch. Sie verpassen weder die Worte, die ich nicht sage, noch die Traurigkeit, die ich nicht empfinde.«
Er musterte sie scharf; ihm fielen die Schatten unter den Augen auf, Tränensäcke wie Teebeutel, deren Haut von Ocker in Gelb und schlieÃlich in Braun übergehen würde. Doch noch standen ihr die Tränensäcke gut, als deuteten sie auf ihr Spiel mit der Ernsthaftigkeit, auf ihre Fähigkeit zum philosophischen Vergnügen, die ungetrübt von Leichtfertigkeit war. In dieser Hinsicht war er wie ich, er verabscheute Belanglosigkeit, jedenfalls in Marisas Gegenwart. Keine verstellten Stimmen oder alberne Mundarten in ihrer Gegenwart. Ein Mann, der nur bei Frauen ganz er selbst sein konnte. Vielmehr bei Frauen, bei denen er sich vorstellen konnte, sich in sie zu verlieben. »Mir wäre es lieber«, sagte er, den Blick schlieÃlich senkend, »Sie würden mir die Gelegenheit geben zu erfahren, was Sie wirklich empfinden.«
Sie schüttelte den Kopf, ein Scheppern von Rasierklingen. »Das wird nicht möglich sein«, sagte sie. »Ich habe nur diesen einen Vortrag in dieser Reihe, und den habe ich gerade gehalten.«
Er wollte schon antworten, so habe er es nicht gemeint, besann sich aber gerade noch rechtzeitig auf seine Raffinesse. Er hatte sich zu lange in Shropshire herumgetrieben, zu viel mit Minderjährigen und allzu Volljährigen verkehrt.
»Dann könnten wir uns vielleicht bei dem nächsten Vortrag dieser Reihe wiedertreffen.«
»Interessiert Sie Bouchers Porträt der Madame de Pompadour?«
»Wenn es Sie auch interessiert.«
»Nein.«
»Dann könnten wir uns vielleicht treffen, damit Sie mir sagen können, warum nicht.«
»Ja, vielleicht«, sagte sie. Und damit wandte sie sich ab und ihre Aufmerksamkeit anderen Dingen zu.
*
War das nun ein Rendezvous oder war es keins?
Marius war sich unsicher. Er schlenderte zurück nach Hause, ohne jeden Schwung im Schritt, die Lippen abschätzig
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