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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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ich dich damals verlassen sollen? Du warst nicht glücklich.«
    Â»Ich war glücklich genug.«
    Â»Wärst du glücklich genug gewesen …« Nein, das konnte er nicht sagen. Stattdessen aber: »Kein Mensch kann sich sicher sein, dass er einen anderen ewig lieben wird, Elspeth.«
    Â»Doch. Kann er wohl. Und wenn nicht, muss er die Frau verlassen. Ich hatte mein eigenes Leben, oder nicht? Ich war versorgt. Ich war sicher. Ich hatte es nicht nötig, dass du mir über den Weg läufst und mir das hier antust.«
    Ihr Mund hatte die fleischige Fülle, die er einst so anziehend gefunden hatte, eingebüßt. In ihrer Erregung klafften ihre Kiefer auseinander wie bei einem Hund, und er fragte sich, ob es ihr je gelingen würde, ihn wieder ganz zu schließen oder trocken zu halten. Auch ihre Augenbrauen, früher so herausfordernd, ansprechend in ihrem weiten ausdrucksstarken Bogen, besonders wenn sie lachte oder ein Begehren vermittelte, waren unter die Ränder der Augenhöhlen gerutscht. Das ließ sie müde erscheinen, konfus, wie ein alter Hund, der das Ende fürchtete.
    Als er seine Beine ihren Klauen entzog – ja, Klauen –, fiel sie nach vorn und schlug mit dem Kopf auf. Das nun war anscheinend der Anstoß zu einer letzten verzweifelten Tat. »Ich habe mich dir zu Füßen geworfen«, schrie sie und stieß mit dem Kopf gegen die Dielen, willentlich jetzt, Schlag für Schlag, bis Blut aus dem Gesicht spritzte, als wollte sie sich das Gehirn aus dem Schädel rammen und vor ihm ausschütten.
    Â»Elspeth!«, rief er. »Elspeth, bitte! Hör auf damit!«
    Aber er konnte nicht zu ihr gehen. Konnte sie nicht anfassen. Konnte ihr nicht helfen.

Marisa wusste ebenfalls nicht, ob sie nun verabredet waren oder nicht, auch sie war leicht verwirrt. Sie hatte die Befürchtung, sie könnte sich bloßgestellt haben. Weil sie zum einen Marius zu erkennen gegeben hatte, dass ihr das Bild unter die Haut ging, und zum anderen gezeigt hatte, dass sie es sich ungern anmerken ließ. War es nicht genau das, was sie an dem Porträt der Countess of Blessington so rasend machte – dass eine wohlhabende und erfolgreiche Frau auf dem Höhepunkt ihrer Macht und ihres Einflusses unfähig war, ihre Verletzlichkeit zu verbergen? Nein, nicht unfähig, sondern unwillig. Marisa konnte gut verstehen, warum von dem Bild, in Byrons Worten, »ganz London schwärmte«. Man schwärmte, wovon bei einer Frau üblicherweise immer ganz London schwärmte: dass sich das bittende kleine Mädchen in ihr erhalten hatte. Ein empfindliches und ein wenig unehrliches Mädchen, ein erbärmliches gar, trotz Pelz und Pracht; hinter der Fassade der Selbstsicherheit ein Anflug von Unsicherheit und Schutzlosigkeit. Sollte das etwa ein unauslöschliches Kennzeichen von Frauen sein, ganz gleich, wie weit sie in die Welt der Männer vorgestoßen waren – der Wunsch, von ihnen geliebt und gerettet zu werden?
    Und sie, Marisa, hatte diese Bedürftigkeit in ihrer Miene offenbart. Das war unverzeihlich. Das nächste Mal würde sie Marius ein anderes Gesicht zeigen.
    Woher ich wusste, dass sie überhaupt ein nächstes Mal in Erwägung zog? Ich lebte in ihrem Kopf, daher. Wären wir siamesische Zwillinge, mein Herz wäre nicht sensibler auf ihr Herz abgestimmt. Aber das galt auch andersherum. Ich reichte ihr meine Ängste über ihre Blutbahn weiter, wo sie sie schließlich mit der Zeit in ihre eigenen Wünsche umwandelte.
    Zum Vortrag über Madame de Pompadour in der nächsten Woche erschien sie nicht. Eine neuerliche Blöße wollte sie sich ersparen. Doch in der Woche darauf traf sie sich zu einem späten Mittagessen mit Flops im Café Bagatelle im Skulpturengarten des Museums – zwei Stunden bei einem Teller Rucolasalat mit geriebenem Parmesan und noch mal eine halbe Stunde, versunken in intensiver Betrachtung der Urnen, wie es keine Urne je verdient hätte – und kehrte anschließend Punkt vier Uhr in den Raum zurück, in dem der nächste Vortrag der Reihe gehalten wurde.
    Marius war nicht da.
    Sie war etwas enttäuscht. Sie sah gut aus, fand sie, in ihrem Tulpenrock und dem breiten Ledergürtel, den hochhackigen Stöckelsandalen, in denen man ihre lackierten Zehennägel sah, den großen metallisch schillernden Ohrringen und natürlich einer weißen Bluse, die bei jeder Bewegung leise

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