Liebesdienst
ihm eine Woche Zeit gegeben hatte. Eine ganze Woche, in der man kalte FüÃe kriegen konnte, den Schwanz einziehen oder sich auf der Marylebone High Street ein paar Schulmädchen angeln konnte, die auf Gothic standen und vielleicht zufällig Lust hatten, sich über einen Friedhof führen zu lassen. Doch instinktiv wusste ich es und fürchtete mich. Ich wusste um ihn und fürchtete ihn. Die Angst saà mir in den Knochen. Man könnte es meine Spielart der Taphophobie nennen.
Die Woche ging vorüber, und am ersten Tag der zweiten Woche, in der Minute als das Museum seine Tore öffnete und Marius anfangen durfte zu suchen, fand ich mich auf dem Manchester Square ein, genoss die frühen Sonnenstrahlen zwischen den kahlen Bäumen und zog mir die Mütze tiefer ins Gesicht. Von Marius keine Spur. Auch am nächsten Tag und am übernächsten nicht. Wie war das möglich? Ein Mann, der sich für eine Frau interessierte, der wusste, dass sie etwas versteckt hatte, das nur für seine Augen bestimmt war â ein erotischer Köder, ein Anreiz für Gott weià was â, und der trotzdem nicht in fiebriger Ungeduld darauf brannte, das Versteck zu entdecken? Das verwunderte mich. Ich an seiner Stelle hätte in der Sekunde, in der ich von Marisa die Erlaubnis zur Suche bekommen hätte, an die Pforten des Museums gehämmert.
Aber ich hatte ja auch kein Problem damit zuzugeben, dass ich von den Launen einer Frau abhängig war. Ich wusste, was für ein Vergnügen es sein konnte, an der Nase herumgeführt zu werden.
Ich beschloss, nicht länger auf Marius zu warten, was immer ihn abhalten mochte. Was Marisa für Marius versteckt hatte, hatte sie auch für mich versteckt, schlussfolgerte ich. Wir haben es nie ausgesprochen, aber Verstecken gehörte zu unserer Ehe. Verschweigen war die Sprache unserer Liebe geworden. Nach dieser Logik galt die Probe, auf die sie Marius stellte, in gleichem Maà auch mir. Und für mich war es zwingend erforderlich herauszufinden, was sie hinterlegt hatte und wo, auch wenn das für Marius nicht so sein mochte.
Ich betrat das Museum nicht als Mariusâ Rivale, ich ging als sein Alter Ego, in gewisser Hinsicht auch als Marisas Alter Ego. Ich suchte nach dem Gegenstand, den sie versteckt hatte, um zum Kern ihrer heimlichen Affäre vorzustoÃen, aber mehr noch, um zu sehen, wie sich der Betrug an mir, während er sich vollzog, für die andere Seite darstellte. Ich wollte mich in Marisas Untreue suhlen, die sie als Spur im Museum ausgelegt hatte, Raum für Raum; ich wollte auf meiner Zunge Mariusâ trockenen Mund schmecken, seine Aufregung, wenn ihm allmählich, Kunstwerk für Kunstwerk, die Erkenntnis dämmerte, dass Marisa, obwohl sie ihm gesagt hatte, sie sei verheiratet, schon sehr bald seine Mätresse sein würde.
Ich war selbst schon mal in dieser Position gewesen, als Freddy sich eingestehen musste, dass Marisa ihn betrog, mit mir. Aber was bedeutete Betrug schon für Freddy, verglichen mit dem, was er für mich bedeutete!
Da wenig Aussicht bestand, dass Marius und ich die Schatzsuche in der Wallace Collection gemeinsam betreiben würden â emeritierter Ehemann und künftiger Liebhaber â, gab ich mich damit zufrieden, ihn quasi im Geist mitzunehmen. Am ersten Tag waren wir nervös, wussten nicht, wo anfangen, schlenderten planlos von Raum zu Raum, entdeckten Hinweise in Gemälden, Botschaften in Möbeln, die wahrscheinlich gar nicht drinsteckten, und vermieden es, irgendetwas näher zu betrachten, aus Angst, einen Alarm auszulösen. Bestimmt saà irgendwo jemand in einer Kabine und verfolgte jeden unserer Schritte.
Ich lieà Marius den Vortritt. Ich folgte ihm gerne. Es befriedigte mein brennendes Verlangen, erniedrigt zu werden, als letztes Glied einer obszönen Suchkette â Marisa, die den Duftstoff verbreitete, Marius, der Witterung aufnahm, und ich, der hinter beiden hertrottete wie ein verwundeter Hund.
Eigentlich schade, dachte ich, dass Marius körperlich nicht so präsent war, dass ich mit ihm hätte kommunizieren können. »Wie venezianischer Karneval, finden Sie nicht?«, hätte ich zu ihm gesagt. »Dass wir zusammen nach etwas suchen, aber nicht wissen, wonach? Etwas, das ich nur vor meinem geistigen Auge sehe, und Sie sicher auch. Es ähnelt einem Pergament oder einer Schriftrolle, einem mit Siegeln versehenen Dekret, einer
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