Liebesdienst
der eher Verführungen anbahnte als vollzog. Seine Verabredung um vier Uhr hielt er tatsächlich ein. Das war nicht die einzige Ãberraschung. Die Verabredung galt für denselben Tag und für einen Ort, nur wenige Schritte von dem Ort entfernt, wo er sie getroffen hatte. »Wir treffen uns zwischen den Grabsteinen, Mädchen«, muss er zu ihnen gesagt haben, » um ⦠vier ⦠Uhr.«
Ich weià nicht, warum ich mich darüber hätte wundern sollen. Warum nicht gleich zur Sache kommen? Von dem Respekt dem soeben Verstorbenen gegenüber mal abgesehen, bin ich vermutlich deswegen nicht darauf gekommen, weil mir die sofortige Befriedigung von Bedürfnissen fremd ist. Warum einen Genuss rasch hinter sich bringen, wenn man ihn in die Länge ziehen kann?
Das heiÃt, falls Marius überhaupt so weit gekommen ist. Er hat sich mit den Mädchen getroffen, das ja, in dem Punkt hatte ich falschgelegen. Aber wer sagt, wie viel von sich selbst er eingebracht hat? Es gibt mehr als nur eine Möglichkeit, die Vollziehung des Aktes auszusetzen.
Was er mit ihnen getrieben hat, wenn er es mit ihnen getrieben hat, erst mit der einen, dann mit der anderen, oder mit beiden gleichzeitig; ob sie ein trockenes Plätzchen gefunden haben, wenn so was in Shropshire überhaupt möglich ist, oder ob sie sich auf kalten Friedhofsmarmor gelegt und im Regen gewartet haben â ich weià es nicht. Als er Jahre später davon erzählte, sparte er solche Details aus; wenn nicht die Person, die wiederum mir davon erzählte, sie ihm zu Gefallen auslieÃ. Beim Thema Sex sagt niemand die ganze Wahrheit. Immer wird etwas hinzugefügt oder weggelassen.
Was mich â mir die Vollziehung selbst versagend, im Bett liegend, Marisa zuhörend, die mir im Zwielicht davon erzählte â beim zweiten Mal interessierte, war nicht das Wie, sondern das Wo, schlieÃlich ist ein Friedhof als Liebesnest nicht unbedingt jedermanns Sache. Jeder, der sich ernsthaft für männliche und weibliche Erotik interessiert, hat schon mal von Taphophilie gehört, jener morbiden Vorliebe für das Bestattungswesen und den Verfall, deren Gegenstück die Taphophobie ist und deren direkte, wenn auch weich gespülte Ableger heute der Vampirismus und Gothic sind. Dass der Todestrieb in Marius stark ausgeprägt war, wusste ich bereits nach allem, was ich in Shropshire gesehen und aus seinem eigenen Mund erfahren hatte. Aber man kann sich auch in die Poesie des Erlöschens versenken â besonders des eigenen â, ohne ein ausgesprochenes Faible für Efeu und Sarkophage zu haben oder sie gar als Kulisse der eigenen Lust zu nutzen. In Wahrheit war Marius nicht nur geradezu verliebt in den Tod, der Tod belebte ihn und verlieh ihm Potenz. Hatten die Schwestern Lehm von dem Friedhof an den FüÃen, als er sie umarmte oder nicht umarmte? Klammerten sie sich mit den Fingern an Knochen? Schmeckte ihre Jugend pervers nach Verfall?
»Es gilt für Atem und Blut, so rot«, heiÃt es bei Housman, dem beherrschenden Geist auf diesem Friedhof, »sie machen dem Mann Geschmack auf den Tod.« Marius funktionierte nach dem umgekehrten Prinzip, der Tod machte ihm Geschmack auf Atem und Blut.
»Ich kann nicht sagen, dass es die Heftigkeit meines Genusses oder meinen wiederentdeckten Geschmack am Leben geschmälert hätte«, sollte er später zu Marisa sagen, »dass die beiden Elspeths Nichten waren.«
Er sparte also doch nicht alle Details aus.
Marisa schwieg eine Weile. »Auch nicht, dass sie zu jung waren, um dich abzuweisen?«, fragte sie schlieÃlich nach.
»Auch das nicht«, sagte er.
Was, fragte ich mich später, versprach sich Marius davon, Marisa gegenüber mit diesen Vergehen zu prahlen? »Letztlich war es nicht ihre glühende Jugend in diesem Garten des Todes, die mich so reizte«, sagte er, »genauso wenig wie ihre Blutsverwandtschaft mit Elspeth oder sonst wem. Es waren ihre geschundenen, ordinären Münder.«
Warum erzählte er Marisa das?
Noch eine andere Frage tut sich auf: Waren die Münder geschunden, bevor die beiden Mädchen sich mit Marius trafen oder danach?
Und noch eine: Falls sie erst danach geschunden waren â war das dann alles, was die beiden von dieser Begegnung davontrugen?
Von alldem wusste ich nichts â wenn mit Wissen gemeint ist, Worte dafür zu haben â, als ich mich darüber ärgerte, dass Marisa
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