Liebesdienst
Aufforderung zu einem karnevalesken Rendezvous, in die Polster eines Rokokomöbels gesteckt. Und sollten wir es nicht finden, bliebe es womöglich jahrhundertelang dort vergraben, bis der nächste Liebhaber auf den Fersen seiner ihn hinhaltenden Mätresse daherkäme und glaubte, es sei für ihn. Glauben Sie, dass Marisa noch dreihundert Jahre nach ihrem Ableben einen Mann verführen könnte? Wenn ich bedenke, wie Sie sich in der Umgebung des Todes verhalten, müsste Sie diese Vorstellung doch noch viel mehr begeistern als mich.«
Ich will es kurz machen, denn unsere Suche dauerte mehrere Tage. Am Ende kannte niemand das Beutegut in diesem ordinären Tempel des Luxus besser als wir. Kiefern- und Walnussholz-Tintenfässer aus dem achtzehnten Jahrhundert mit Boulle-Intarsien, französische Vitrinen mit halb nackten Mohren als Stützen, Eichen- und Ebenholzschreibtische, Schreibpulte mit Seiden- und Purpurholz furniert, Konsoltischchen, Kommoden mit Griotte-Marmorplatten, Garderoben, Rollbureaus, Truhen auf Gestellen, Bücherschränke aus Birnenholz, Sekretäre â alles, was eine Schublade hatte, ob sichtbar oder versteckt, ein Fach, das sich öffnen lieà oder auf Druck nachgab, einen Sims, eine geheime Nische, alles, was man mit etwas Findigkeit als Aufbewahrungsort des Gegenstands verwenden konnte, nach dem wir suchten. Wir öffneten sie alle, erst er, dann ich. Vergeblich.
Wohin wir auch blickten, die klassische Mythologie war bereits vor uns da gewesen und präsentierte uns ihre beispielhafte Sinnlichkeit, als wollte sie uns an die historische AnstöÃigkeit unseres Auftrags erinnern. Dekorative Satyrn vergewaltigten Frauen und schleppten ihre Beute davon, bacchantische Kaminböcke verdrehten die Augen, tiefe Vulva-Tintenfässer forderten uns auf, ihre blauschwarze Finsternis mit unseren Fingern zu erkunden, erst ihn, dann mich, Venus verfolgte Amor, eine gleichmütig barbusige Goldbronze-Diana streichelte einem knurrenden Hund den Kopf, während zu ihren FüÃen zwei nicht ganz so friedfertige Köter einem Reh die Kehle zerrissen. Lange blieb Marius vor der Diana stehen und betrachtete sie ausführlich. Es war hingerissen von ihrer ungerührten Blutgier. Sollte ihm hier etwas mitgeteilt werden?, fragte er sich. Was immer er suchte, Marisa musste es in oder neben einem Kunstwerk verborgen haben, das beredt darüber Auskunft gab, was sie für ihn empfand. Wollte sie ihn hiermit also warnen, sich vor ihrer dianahaften Keuschheit zu hüten? Sollte er in dem verwundeten Reh sein Spiegelbild erkennen?
Von mir aus hätte er eine Ewigkeit so stehen bleiben können, damit ich weiter auf sein Herz das Klopfen übertragen konnte, das mein eigenes erschütterte. Als ich ihn endlich dazu bewegen konnte weiterzugehen, sah ich mich kurz um, ob wir vielleicht beobachtet wurden, und probierte dann die Schubladen des Kabinetts, auf dem Diana und ihre Hunde standen, leider vergeblich. In zwei Schränken befanden sich Kataloge der WallaceMöbelsammlung â Werke, zu denen ich mittlerweile einen sachkundigen Beitrag hätte beisteuern können â, aber auch die, wenngleich ein perfektes Versteck, waren verschlossen.
Und so zogen wir weiter, vorbei an Wänden unberührbarer Psychen und Ariadnes mit rosa Brustwarzen, gemalt von dem brustbeseelten Greuze, durch vollgestellte Räume mit Armierungen und Ormulu und wieder hinaus zu den harmlosen Frivolitäten eines Boucher. Nie blieb ich weit hinter Marius zurück, heftete mich dicht an seine Fersen, damit ich seine Abwärme einatmen konnte; ich stellte mir die Fragen, die er sich stellte, und war in doppelter Hinsicht gespannt, denn ich verfolgte nicht nur Marisa, ich verfolgte auch, wie Marius sie verfolgte.
SchlieÃlich und endlich, denn es konnte ja nicht ewig so weitergehen, sosehr ich es mir auch wünschte, wurden wir â wie zu unserem Schicksal â zu dem von Marisa ausgewählten Versteck geführt. Doch zuerst geschah noch etwas Seltsames. Ich machte mich von Marius frei. Es war der dritte Tag, und ich wollte nicht mehr, dass er ständig in meinem Kopf herumspukte. Plötzlich wurde ich egoistisch. Ich wollte den Moment ganz für mich allein genieÃen. Man könnte es ehelichen Impuls nennen. Als ich mich dem eindeutigen Beweis für die ehebrecherischen Absichten meiner Frau näherte, wollte ich, dass sie dies nur mit mir allein teilte.
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