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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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Marisa als junges Mädchen viel in der Bibel gelesen hat.
    Gegenüber der Dichter Horaz, so wie der akademische Maler Thomas Couture, ein Zeitgenosse Merles, ihn sieht: sich mit seiner Mätresse Lydia vergnügend. Ein römisches Festmahl . Der Dichter, auf einem Sofa liegend, hält einem Diener seinen Pokal zum Nachfüllen hin. Lydia, splitterfasernackt, schmiegt sich an ihren Geliebten, einen Arm um seinen Hals geschlungen, den Busen gegen seine Brust gepresst, die Flanken in kurvenreich geschwungener Üppigkeit unserem prüfenden Blick zugewandt. Die Fülle ihrer Hüften ist ungeheuerlich. Obwohl Horaz in seinen Oden Lydia als unerschrocken und untreu schildert, verbirgt sie auf Coutures Gemälde ihr Gesicht, peinlich berührt durch die Nähe des Wasserträgers ihres Geliebten. In Anwesenheit von zwei Männern ist eine Frau notwendigerweise immer nackter, als sie je bei einem einzelnen Mann sein kann.
    Ich will mich klar ausdrücken: Für einen, der nicht näher vertraut gewesen wäre mit meiner Frau, hätte Lydias Pose der saftigen Schamlosigkeit nichts an sich gehabt, das den Gedanken an Marisa nahegelegt hätte. Doch andersherum gedacht, würde jeder, der Marisa nur in bekleidetem Zustand kannte und sie sich ohne Kleider vorstellte, genau dieses Bild von ihr vor Augen haben: eine fließende Lüsternheit, die kaum auszuhalten war.
    Ein Bild allein, ohne das Gegenstück, hätte einen Mann auf der Jagd nach einem Liebespfand wohl kaum zum Innehalten gezwungen. Manchester Square ist gespickt mit erotischen Verführungen. Doch zusammengenommen, sich von gegenüberliegenden Wänden des Treppenaufgangs gegenseitig ins Auge fassend, waren die beiden Darstellungen unwiderstehlich und beredt.
    Mir stockte der Atem, als ich mich zwischen ihnen wiederfand. Ich hatte nicht den geringsten Zweifel, dies war der Ort – vor den Blicken aller anderen Besucher versteckt –, wo Marius’ Suche, hätte er sich aus seinem Bau bequemt, ihr Ende gefunden hätte.
    Dennoch war mir beklommen zumute. Beklommen Marius’ wegen und folglich auch meiner selbst, hing doch mein zukünftiges Glück ausschließlich von seinem ab. Eine Wahl stand an, zwischen einer keuschen Jungfrau, die im Sinne Gottes erzogen, und einer unersättlichen Mätresse, die vor den Augen anderer Männer ausgezogen werden sollte. Wo meine Präferenz lag, wusste ich; aber es war wichtig, dass Marius, wenn seine Zeit gekommen war, nicht das Gefühl haben durfte, er hätte schlecht gewählt.
    Was ich folglich tat, tat ich in bester Absicht. Es war keine Einmischung in fremde Angelegenheiten, es war Güte. Ihnen zuliebe durfte ich nichts dem Zufall überlassen. Sie gehörten nicht zu den Menschen, die sich auf den Zufall als Hilfe verlassen konnten. Beide ließen sich viel zu leicht aus der Bahn werfen.
    Ich glitt mit der Hand hinter das Römische Festmahl . Ein Alarm schrillte nicht los, aber es fand sich auch nichts von Marisa, nur ein Spinngewebe. Ich wandte mich der Bibellektüre zu und tat das Gleiche. Immer noch kein Alarm, aber diesmal zog meine Hand ein gefaltetes unliniertes A4-Blatt hervor, demonstrativ unpersönlich, auf dem Marisa den Namen ihres Lieblingsrestaurants, ihre Handynummer und eine kurze Nachricht notiert hatte. Wäre das Bild mit einer Alarmanlage gesichert gewesen, nicht meine Hand hätte sie ausgelöst, sondern mein Herzschlag. Die Nachricht lautete: »Es gibt kein süßeres Vergnügen, als einen Menschen dadurch zu überraschen, dass man ihm mehr gibt, als er erhofft hat.«
    Ich will nicht so tun, als hätten mich diese Worte nicht verletzt. Wie gesagt, Eifersucht ist in seiner Wildheit und seinen Gedankengängen unkalkulierbar. Obwohl ich mir die beiden schon tausendmal eng umschlungen vorgestellt hatte, entsetzte und empörte mich der Gedanke, dass sie sich durch Baudelaire miteinander verbanden, zutiefst. Musste sie mich auch noch literarisch betrügen? Diese Worterotikerin! Ich atmete schwer, war grün vor Neid, wie es jeder andere auch gewesen wäre. Doch hielt Eifersucht nie lange bei mir vor. Bald konnte ich mir in meiner Fantasie ausmalen, wie sie sich, eng umschlungen, gegenseitig Baudelaire vorlasen, und in der Magengrube wieder den Gram spüren, den durch Alchemie in Genuss zu verwandeln ich gelernt hatte.
    Es leuchtete mir ein, warum Marisa sich dagegen entschieden hatte, ihr Angebot,

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