Liebesdienst
überraschen, dass man ihm mehr gibt, als er erhofft hat.«
»Baudelaire, nehme ich an.«
»Ach, entschuldigen Sie. Ich bin also schon berechenbar.«
Ich fand, ja, doch Marisa, wie ich sah, nicht.
Von meinem Posten aus konnte ich unmöglich jedes einzelne Wort ihrer Unterhaltung verstehen, doch was ich nicht selbst hörte, las ich von ihren Lippen ab, erriet es intuitiv oder ersetzte es durch das, was meine überbordende Neugier mir eingab. Ich legte es als gutes Omen aus, dass Marisa mich gebeten hatte, auf sie zu warten, sollte sie Marius zufällig über den Weg laufen. Es zeigte mir, was sie von ihm hielt, dass sie so unverschämt in meiner Anwesenheit mit ihm flirten konnte â wenn man mich denn als anwesend bezeichnen konnte (für Marius war ich jedenfalls nicht anwesend) â, ohne mich zu beachten, anders als etwa an dem Nachmittag, als ich sie mit Dulcies Zahnarzt zusammen getroffen hatte.
Erregte sie das? Wollte sie mich damit erregen? Konnte sie mich in Gesellschaft von Marius so erfolgreich aus ihrem Bewusstsein verbannen, wie es ihr offenbar gelang, mich aus ihrer Nähe zu verbannen?
Ich habe sie nie danach gefragt. Ich kannte meinen Platz, und den Namen Marius wagten wir voreinander nicht einmal flüsternd auszusprechen. Wir trugen ihn vor uns her wie ein unausgewogen beladenes Tablett; ein einziges unangebrachtes Wort, und wir würden vor Schreck alles verschütten. Er war unser kostbares Geheimnis, ihres vor mir, meins vor ihr, uneingestanden und unaussprechlich, selbst als ich, eine Geistergestalt, in meinem selbst erwählten Versteck auf der Lauer lag und ihn dabei beobachtete, wie er sich in meine Frau verliebte. Und sie sich â wenn mein Glück mir treu blieb â in ihn.
Er entschuldigte sich noch mal für das Baudelaire-Zitat, das sie, wie sie ihm jetzt verriet, nicht erkannt hatte. Ich schon. Es stammte aus einem der Prosagedichte des Franzosen, La Fausse Monnaie . Doch konnte ich meine Kenntnis nicht anbringen. Geistergestalten haben keine Gesichter und keine Zungen.
»Die Person in der Erzählung, die etwas spendet«, erklärte Marius, »gibt in Wahrheit Falschgeld â vollzieht also nur scheinbar einen Akt der Nächstenliebe. Gleichzeitig macht sie ein gutes Geschäft, gewinnt vierzig Sous und die Liebe Gottes dazu. Eine berechnende Tat, die Baudelaire verachtet.«
»Und Sie haben eben nicht auch Falschgeld gegeben, oder?«, fragte Marisa.
»Nicht wissentlich.«
Sie sahen sich in die Augen.
»Nicht wissentlich«, wiederholte Marisa.
»Nicht wissentlich«, wiederholte Marius Marisas Wiederholung.
Sagte ich, ich sei unsichtbar wie ein Busch gewesen? Wie ein brennender Busch.
War ich jetzt endlich zufrieden?
Nein. Gieriger als das Meer, das ihn durchschüttelt; ein Gehörnter, der Land in Sicht hat. Marius und Marisa waren an einem einzigen Nachmittag weiter gegangen, als ich mir je hätte träumen lassen. Was sie getan, was sie einander versprochen hatten, es hätte gereicht, um tausend menschenscheue Cuckolds den schlimmsten Qualen auszusetzen. Doch ich konnte nur nach vorne blicken, nicht zurück, und jeder Akt der Obszönität war mit seinem Vollzug vergessen und lieà mich ungeduldig auf den nächsten warten.
Bedenklich stimmte mich auch, dass Marisa gesagt hatte, es hätte keinen Sinn, vor Ablauf mindestens einer Woche mit der Suche anzufangen. Eine Woche! In der Politik eine lange Zeit, in der Liebe eine Ewigkeit, besonders dann, wenn einer der beiden Liebenden ein Mensch ist, der sich leicht begeistern lässt und sich dann ebenso rasch wieder abwendet wie Marius.
Eines lieà Marius Elspeth gegenüber nach dem Tod ihres Mannes unerwähnt. Er hatte auf der Beerdigung eine andere Frau kennengelernt und danach etwas Zeit in ihrer Gesellschaft verbracht. Eigentlich waren es sogar zwei Frauen, und er hatte viel Zeit in ihrer Gesellschaft verbracht. Streng genommen waren es auch keine Frauen, sondern Mädchen. Schwestern, wie ich vermutet hatte. Fünfzehn die eine, wie sie behauptete; die andere sechzehn, wie auch sie behauptete. Die eine trug schwarzen Lippenstift, die andere einen Nasenring. Marius wird sich kaum die Mühe gemacht haben, sich zu merken, wer die eine und wer die andere war.
Aber ich hatte mich anscheinend geirrt, damals, an dem Vormittag, als ich ihn in dem Gemeindezentrum in Shropshire beobachtet hatte und ihn für einen Mann hielt,
Weitere Kostenlose Bücher